Kapitel 9 - Die Schatten im Licht

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Die Sonne schien über der Clearwater High, als wäre nichts geschehen. Doch der Schein trog. In Y/Ns Kopf war es finster, ein Labyrinth aus Gedanken, Ängsten und Fragen. Der Vorfall mit Jeffrey, Milling, das Rudel – alles wirbelte in ihr durcheinander. Selbst als sie mit ihren Freunden durch die Schulflure lief, fühlte sie sich wie losgelöst, ein Geist unter Menschen.

Lou bemerkte es als Erste.

„Hey", sagte sie leise und blieb stehen, als die anderen ein Stück vorausgingen. „Bist du überhaupt noch hier – oder nur noch körperlich unter uns?"

Y/N zwang sich zu einem Lächeln, aber es erreichte ihre Augen nicht. „Ich... bin nur müde."

Lou zog eine Augenbraue hoch. „Du bist nicht müde. Du bist... woanders."

Carag, der zurückgelaufen war, legte Lou sanft eine Hand auf die Schulter. „Ist alles okay bei euch?"

Lou sah zu ihm auf. Ihr Blick verriet mehr als Worte. Er kannte sie gut genug, um zu merken, dass sie nicht nur Y/N meinte. Auch Lou selbst war unruhig – innerlich zerrissen zwischen Sorge und einer düsteren Vorahnung, die sie nicht abschütteln konnte.

„Ich hab ein schlechtes Gefühl", sagte sie leise, fast nur zu Carag. „Wegen Milling. Irgendwas... stimmt nicht."

Y/N drehte sich zu ihr um. „Er ist weg. Und Jeffrey ist jetzt das Problem."

„Nein", beharrte Lou. „Eben nicht. Es ist zu ruhig. Zu kontrolliert. Als würde jemand im Hintergrund die Fäden ziehen. Und ich glaube nicht, dass Jeffrey alleine denkt. Ich glaube, Milling war nur der Anfang."

Carags Stirn legte sich in Falten. „Du meinst, es gibt noch jemanden?"

Lou nickte. „Ich kann's nicht beweisen. Aber irgendwas stimmt nicht mit der Art, wie sich Jeffrey verhält. Es ist, als würde er Befehle folgen."

Holly und Brandon hatten das Gespräch bemerkt und kamen dazu. „Was ist los?", fragte Holly vorsichtig.

Y/N wollte antworten, doch ihre Stimme versagte. Zu viele Gedanken wirbelten in ihr, jeder einzelne schwer wie Blei. Sie fühlte sich, als würde sie unter Wasser stehen, unfähig, klar zu atmen.

„Sie ist nicht ganz bei sich", sagte Brandon ruhig. „Und ehrlich gesagt... wundert's mich nicht. Nach allem, was passiert ist."

„Wir müssen sie da rausholen", sagte Carag entschlossen. „Zusammen."

Lou legte den Arm um Y/Ns Schultern. „Hey. Du musst nicht alles allein tragen, okay?"

Y/N sah sie an, Tränen standen ihr in den Augen, doch sie blinzelte sie weg. „Ich weiß. Ich versuch's. Es ist nur... manchmal fühle ich mich, als würde alles auseinanderfallen. Ich weiß nicht, wem ich noch trauen kann. Nicht mal mir selbst."

Holly trat näher. „Dann vertrau uns. Und wenn du nicht kannst – dann lehne dich einfach an uns an, bis du es wieder kannst."

Ein Moment der Stille senkte sich über die kleine Gruppe. Die Sonne warf warme Strahlen auf ihre Gesichter, doch der Schatten in ihren Herzen blieb.

„Ich glaube", murmelte Y/N schließlich, „dass ich mich selbst verloren habe. Und ich weiß nicht, wie ich mich wiederfinden soll."

Brandon, der sonst so schweigsam war, sagte leise: „Vielleicht musst du dich nicht finden. Vielleicht reicht es, wenn du einfach weitermachst – mit uns."

Lou zog sie fester an sich. „Und wenn Milling zurückkommt, oder jemand anderes aus dem Dunkeln tritt – wir werden bereit sein. Aber wir müssen ehrlich zueinander sein. Und du musst uns sagen, wenn du nicht mehr kannst."

Carag nickte. „Denn du bist nicht allein, Y/N. Nicht in diesem Kampf. Und auch nicht in dem, den du in dir selbst führst."

Und zum ersten Mal seit Tagen – vielleicht Wochen – spürte Y/N, dass da noch etwas in ihr war, das nicht zerbrochen war. Etwas, das leise flackerte. Hoffnung.

ENDE VON KAPITEL 9

Titel: Zwischen Krallen und Herzen - Eine Woodwalkers GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt