V.

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Dunkelheit umfing ihn. Jaro wusste, dass es außerhalb der Atmosphäre in der Galaxie kalt war. Aber er hatte nicht mit der eisigen Kälte gerechnet, die das schwarze Loch ausstrahlte, je näher er kam.

Die Schildkröte öffnete ihr Maul. Der Sog wurde stärker.

Für sie war er nur ein kleiner Haps. Für ihn könnte es den Tod bedeuten.

Jaro hatte sich stets vor der Dunkelheit gefürchtet. Er schloss die Augen, um sie nicht sehen zu müssen. Er klammerte sich an den Schlauch fest, doch er gab ihm nicht den gewünschten Halt.

Ein Ruck. Etwas entglitt seinen Händen. Ein entfernter Schrei. Jaro riss die Augen auf - zu spät.

Das schwarze Loch verschlang ihn komplett.

Stille.

Obwohl seine Augen offen waren, konnte Jaro nichts sehen. Er tastete hilflos nach dem Schlauch, doch er war nicht mehr da. Hier war nichts. Seine Umgebung war dunkel, kalt und leer.

Einsamkeit ... Das war das Einzige, was er spürte. Doch da war noch mehr, eine schwache Präsenz, die langsam erwachte.

Hallo, Jaro.

Er drehte den Kopf zur Seite. Oder war das oben? Unten? Wo war er in der allgegenwärtigen Schwärze?

Ich habe auf dich gewartet.

"Wer bist du?", fragte er. Seine Stimme klang seltsam im endlosen Raum.

Ich bin dein Licht.

Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus und er riss die Hände in die Höhe. "Ich wusste es! Keine Angst, ich komme dich holen! Wo bist du?"

Ich bin nicht hier und doch bin ich überall.

Jaro blickte sich angestrengt um. In der Dunkelheit müsste er sein Licht sehen können, doch egal wie sehr er sich bemühte, er konnte es nicht erkennen. "Ich sehe dich nicht!", rief er verzweifelt.

Das kannst du auch nicht. Denn ich bin kein Licht mehr, ich bin die Dunkelheit.

"Was?"

Oh, Jaro ... weißt du nicht, wie schwarze Löcher entstehen?

Jaro vergaß, wie man atmete. "Nein."

Wenn ein Licht keinen Grund mehr zum Strahlen hat, erlischt es. Durch den fehlenden Druck von innen wirkt die Gravitationskraft von außen zu stark und es kollabiert. Es schrumpft und fängt an, umgekehrt zu wirken. Statt nach außen zu strahlen, verschlingt es nach innen. Statt als Licht zu leuchten, verwandelt es sich in pure Dunkelheit. Nachdem ich in der Galaxie verloren ging ... ohne Planeten, ohne Sinn ...

Obwohl er schwebte, war ihm plötzlich schwindelig. Jaros Herz pochte so wild, dass ihm übel war. "Du bist erloschen", verstand er. "Du bist ein schwarzes Loch geworden."

Ja. Und seither bahne ich mir meinen Weg durch die Galaxie zu dir zurück, damit du mich retten kannst.

"Und ich dachte, das schwarze Loch will Planea verschlingen", flüsterte er, weil er keine Kraft hatte, die Worte laut auszusprechen. "Ich wollte die ganze Zeit vor der Dunkelheit fliehen, dabei war es genau das, wo ich hinschauen musste, um dich zu erkennen. Du bist mein Licht! Und ich habe dich überall gesucht!" Jaro fuhr sich mit den Händen durch die Haare und dachte an alle Welten, die er besucht hatte. Ein ungläubiges Lachen brach aus seinem Hals hervor.

Er war bloß so beschäftigt gewesen, ein helles Licht zu suchen, dass er das Wahre vor lauter Dunkelheit nicht gesehen hatte.

"Warum die Schildkrötenform?"

Es waren die einzigen Lebewesen von Planea, an die ich mich noch gut erinnern konnte. Ich habe so lange gewartet.

"Ich auch", hauchte Jaro. "Ich bringe dich zurück. Du hast gesagt, dass du ohne Sinn erloschen bist. Jetzt hast du wieder einen. Planea braucht dich! Ich brauche dich", meinte Jaro.

So einfach ist das nicht.

"Warum?"

Ich bin schon zu lange dunkel. Ich glaube, ich bin nur noch ein Schatten meines Selbst.

Jaro ließ den Kopf hängen. "Das kann ich verstehen", flüsterte er. Die Jahrhunderte der vergeblichen Suche ...

Damals hatte nicht nur das Licht seinen Sinn verloren. Auch er hatte es.

Früher hatte Jaro es geliebt, andere Welten zu erkunden. Aber nach dem Überfall hatte sich alles verändert. Er hatte sich geschworen, nie wieder Gäste einzuladen, damit sich dieser Fehler nicht wiederholen konnte.

Dann war Swea aufgetaucht. Zum ersten Mal hatte Jaro es gewagt, jemandem zu vertrauen. Er dachte an ihre Augen, die vor Faszination geleuchtet hatten. Früher hatte er genauso ausgesehen.

Vielleicht brauchte nicht nur das Licht einen Sinn, wofür es leuchten konnte, sondern auch er brauchte wieder einen. Wofür lohnte es sich sonst, einen mobilen Planeten zu haben, wenn er nur auf der Stelle herumschmoren würde?

"Wir werden wieder reisen." Die Worte entschlüpften seinem Mund, wie ein frischgeborener Entenvogel, der sich auf ein neues Leben freute. Mit einem Mal begannen Jaros Finger zu kribbeln, als hätte auch er eine neue Energiequelle gefunden. "In den letzten Jahren habe ich viele Planeten besucht, um Lichter zu sammeln. Aber ich habe mir nie die Zeit genommen, um sie wirklich zu erkunden. Die Galaxie ist groß. Wir können reisen und die Welten entdecken. Vielleicht treffen wir auch mehr Menschen oder andere Wesen, die uns sehen können - wie Swea. Du würdest sie mögen. Dann können wir alle auf Planea einladen und ... einen Neuanfang starten."

Ein Neuanfang. Das war es, was sie brauchten. Ein neuer Sonnenaufgang, der ein neues Abenteuer versprach.

Oh, mir wird wohlig warm bei dem Gedanken! Was passiert gerade?

Jaro lachte. "Wir haben beide unsere Leuchten wieder gefunden."

Ein Funken erstrahlte inmitten der Dunkelheit. Zuerst war es nur ein kleiner Punkt, er pulsierte wie ein Herzschlag. Doch mit zunehmender Geschwindigkeit nahm er auch an Größe zu. Der Funken wuchs zu einem Glühen, dann zu einem strahlenden Inferno. Die Schwärze zog sich zusammen, als würde das einstige Kollabieren rückwärts ablaufen. Das schwarze Loch begann von innen zu leuchten, bis es in Licht explodierte.

Jaro öffnete vorsichtig die Augen. Er schwebte in der Galaxie. Obwohl es eigentlich kalt sein müsste, war ihm ganz warm ums Herz. Jede seiner Zellen war gefüllt mit Leben - denn neben ihm schwebte sein Licht.

"Ich habe dich." Jaro streckte die Hände aus. Sanft fing er den glühenden Funken, der ihn und die ganze Galaxie gleich mit erstrahlen ließ. "Willkommen zu Hause."

Ein Licht für Planea - Ideenzauber 2024Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt