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Nach zwei Minuten spürte ich die Droge. Ich konnte meine Beine nicht bewegen, mein Herz raste, die Hände schweißten und mein ganzer Körper fühlte sich benommen an. „Was ist mit mir los?“, fragte ich den Arzt. „Die Tabletten bringen dich in einen Zustand, in dem du redest“, sagte er und ging aus dem Zimmer raus. Ich schaute den Pfleger an und fragte ihn nach meiner Situation. „Kannst du mir sagen, was mit mir ist?“ Der Pfleger dachte kurz nach und sagte zu mir: „Die Tabletten geben dir die Möglichkeit, dich zu öffnen, ohne Angst spüren zu müssen“ Das Gefühl, nicht kontrollieren zu können, war immer noch nicht normal für mich. „Wie lange wird mein Körper so sein?“, fragte ich ihn. „So lange, bis die Tabletten ihre Wirkung verloren haben“ Das wurde die längste Stunde meines Lebens, denn ich hatte das Gefühl, dass die Zeit in meinem Körper nicht mehr vorbei ging. Die Tabletten setzten mir schwer zu und mein Körper fühlte sich müde und benommen an. Irgendwann endete die Tabletten-Wirkung und der Arzt kam in den Raum zurück. Er sah, dass ich noch sehr benommen war, aber trotzdem war ich nicht mehr stumm. „Was habe ich gesagt?“, fragte ich ihn direkt. Er überlegte kurz und antwortete dann: „Du hast alles erzählt. Wie du hier hereinkamst und dass deine Eltern dich schlagen. Du hast alles sehr gut erzählt“ Ich hätte nicht erwartet, dass ich so viel erzählt hatte. „Du hast uns alles erzählt, was wir wissen müssen. Deine Familie, deine Vergangenheit bis hin zu deinen Gefühlen und Gedanken“ Ich war überrascht, denn ich hatte keinen Schimmer, was ich alles gesagt hatte. Ich hatte das Gefühl, nur noch ein Roboter zu sein. Meine Gefühle waren für mich keine Gefühle mehr. Ich dachte, dass alles einfach nur noch eine Lüge war und ich konnte nicht mehr damit leben. Wie soll ich meine Gefühle verstehen, wenn sie nicht wirklich da waren, sondern nur durch Medikamente erzeugt wurden?

Schon beim nächsten Termin saß ich wieder nur still da. Ich wusste, sie würden mich zum Reden zwingen, genau deswegen wollte ich erst recht nichts sagen. Der Psychiater blickte mich abwertend an. „Du weißt, wir werden dich so oder so zum Erzählen bringen?“ Ich hatte die starke Vermutung, dass das Ganze hier nicht ganz so legal war. Immerhin war es meine eigene Entscheidung, ob ich nun schweigen würde oder nicht. Sie dürfen mich doch nicht mit Drogen abführen, nur damit sie Antworten auf ihre dämlichen Fragen bekommen. Der Arzt stand auf und ging zu einem Telefon, um jemanden anzurufen. „Es ist schon wieder passiert. Er will nicht mehr reden“, sagte er zu der Person am anderen Ende der Leitung. Der Arzt kam zu mir und gab mir eine Tablette. „Eine weitere Dosis. Ich sehe keine Alternative“ Ich schluckte die Tablette runter auf der Stelle und dachte mir, dass dies alles zu viel für mich wurde. Was hatte ich gemacht, um es zu verdienen? Ich wurde sehr schläfrig und ich musste mit aller müden Macht gegen die Müdigkeit ankämpfen, um nicht einzuschlafen.

Ganz langsam schlich ein Gedanke in mein Bewusstsein. Ein Gedanke, mit dem ich seit Jahren nicht mehr konfrontiert wurde. „Wie geht es dir?“, hörte ich jemanden sagen. Ich öffnete meine Augen und sah Anna neben mir sitzen. „Anna?“, fragte ich sie. „Ich dachte, du könntest mich nicht mehr hören“, sagte sie zu mir. „Ich hab dich gesehen, wie du aus dem Zimmer von Doktor Martin gegangen bist. Er hat zum Pfleger gesagt: 'Wir haben was wir wollen' Und du hast nur emotionslos auf den Boden geschaut. Du sahst aus wie eine Puppe“ Ich hatte das Gefühl, durch die Tabletten in einen Rausch versetzt worden zu sein. „Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich gemacht habe“, sagte ich zu ihr. Anna sah mich mit Mitleid an und fragte den Arzt, der gerade durch den Flur kam: „Ist das wirklich nötig, was Sie mit ihm machen?“ „Ja, das ist jetzt nötig. Wenn nicht, wird sich das nicht ändern“ „Aber das ist nicht fair“ Mit einem spöttischen Laut ignorierte er diese Aussage und ging fort. Ich dachte darüber nach und fragte mich, aus welchem Grund dieser Arzt so ein Verlangen hatte, mich zu einem Gespräch zu zwingen, als ob es ihn ganz persönlich beträfe, dass ich geschwiegen hatte. Eine andere Frage, die sich mir dann noch aufdrängte, war, warum Anna so mitleidig auf mich schaute. Hatte ich vielleicht etwas gesagt, das sie so zum nachdenken gebracht hätte? Ich habe zu viel nachgedacht, ich musste meinen Kopf von diesem Gedankengängen befreien, damit ich wieder Ruhe in meinem Inneren haben sollte. Ich dachte über ihre Frage nach und kam zu der Erkenntnis, dass es wirklich unfair von ihnen war. Ich konnte nichts dazu sagen, aber ich konnte auch nichts daran ändern. Ich war nur eine Marionette, die von anderen herum geschoben und benutzt wurde. Ich spürte, dass Anna mein Schmerz und meine Angst sah und ich wusste, dass sie mich verstehen würde, wenn ich ihr alles erzählen würde.

„Du siehst müde aus“, sagte Anna nach einiger Zeit. Ich nickte nur und starrte an die Wand. „Ruh dich gut aus“, verabschiedete sie sich und verschwand aus dem Zimmer. Erst da realisierte ich, dass es mein Zimmer war. Ich bin tatsächlich hier her gelaufen, ohne auch nur irgendwie meinen Körper zu kontrollieren. Was machte diese Droge mit mir? Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, ich war durch diese Pillen nicht mehr derjenige wie zuvor. Ich hatte die Kontrolle über meinen eigenen Körper verloren und ich konnte nichts mehr dagegen machen. Es war, als wäre ich von einem Fremden aus meiner Seele gefangen worden. Als wäre ich keine Marionette mehr, sondern ein Stück Fleisch, von dem andere nur noch Gebrauch machen können. Es war ein schreckliches Gefühl und ich musste etwas dagegen tun. Deswegen entschied ich mich auch am nächsten Tag zu verweigern. Schließlich musste immernoch ich die Tablette nehmen, das kann niemand für mich übernehmen. Ich selber habe das in der Hand. Also saß ich wieder im gewohnten Raum mit dem Psychiater. Er versuchte mir wieder klar zu machen, dass es viel leichter wäre, wenn ich einfach reden würde. Dass ich seine Arbeit auch schwerer machte mit meinem Verhalten. Und ich dachte, zumindest in der Psychiatrie werde ich mal so aufgenommen wie ich bin und musste mich nicht verstellen.

Er kam wieder mit der Droge an. Ich schüttelte einfach den Kopf. Entsetzt blickte er mich an. Er schien nicht glücklich über mein Verhalten zu sein. „Warum tust du nicht einfach das, was man dir sagt?!“, schrie er und packte meinen Oberarm. Alles in mir zog sich bei der Berührung zusammen. „Ich bin hier der Arzt, du der Patient. Ich weiß, was gut für dich ist. Warum willst du die Tablette nicht nehmen? Ist es nicht besser, wenn nichts mehr durch deinen Kopf geht? Dann hast du auch keinen Stress mehr“ Ein Teil von mir wusste, dass er mich zu manipulieren versuchte. Ein anderer jedoch dachte ernsthaft über seine Worte nach. Tatsächlich, es fühlte sich auf eine komische Art und Weise befreiend an. Keine Sorgen, kein Stress. Es war wie der Tod, nur vorrübergehend. Erschöpft und ohne Kraft blickte ich ihn an. Ich hatte es schon so oft gehört, dass die Tablette gut sei, dass ich anfing, es zu glauben. Warum sollte es nicht gut sein? Es musste doch gut sein, wenn sie mir immer wieder gesagt wurde, wie gut sie sei. Ich schluckte die Tablette hinunter und blickte ihn an, als würde ich um Gnade bitten. Er schien zufrieden. Ich sah zu dem Arzt auf. Warum sollte ich es ihm so schwer machen? Es wäre viel besser, wenn ich einfach tun würde, was er sagte. Es war auch viel einfacher als dagegen anzukämpfen. Ich spürte, während ich ihn anschaute, dass ich wieder ruhiger wurde. Es war, als würde sich meine ganze Welt wieder in eine ruhigere Bahn bewegen. Als hätte mich eine große Kraft wieder nach Hause geschickt. Der Arzt verließ das Zimmer und ich spürte, wie ein Gefühl der Ruhe in mir einkehrte. Ich saß nur still da und war dankbar für diese Tablette, die zu funktionieren schien. Ich wusste noch nicht, was in meinem Inneren vor sich ging, aber ich spürte, wie es sich langsam veränderte, so als würde ich die Kontrolle über mein eigenes Denken verlieren, wie ein Rausch, der meine Sinne vernebelte.
Ich war wie betäubt und empfand nur noch eine tiefen Frieden. Ich fühlte mich, als hätte ich die Lösung für alle meine Probleme gefunden. Meine Emotionen wurden kontrolliert und mein Körper wurde beherrscht. Ich spürte, dass diese Tablette, von der mir so oft von dem Arzt erzählt wurde, wirklich gut war, und ich fing an, eine neue Perspektive einzunehmen.

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