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Die Vision einer stillen, friedlichen Nacht wurde abrupt mit einem schrecklichen, lauten Alarm unterbrochen. Es war ein Lärm, der sich in mein Gehirn gefressen hatte und von dem ich mich nicht befreien konnte. Ein lautes, unerträgliches Piepen, von dem ich den Ursprung nicht feststellen konnte. Aus der Ecke meines Bettes trat dann ein Arzt, gefolgt von einem Pfleger. Mein Geist wirkte matt, doch ich wollte nicht, dass sie mich aus meiner Ruhe weckten. Die Maske wurde mir von meinem Gesicht gezogen. Es dauerte eine Weile bis meine Augen sich an das Licht anpassten, doch dann konnte ich die beiden Erscheinungen erkennen, die ich bereits aus vorherigen Phasen kannte. „Können Sie mich hören, Herr Schneider?“, fragte er anschließend. Zu meinem eigenen Erstaunen konnte ich mit einem leichten Nicken antworten. Der Arzt schaute verdutzt zu dem Pfleger hin und zwinkerte ihm zu. „Gott sei Dank“, flüsterte der Arzt und schaute sich dann einmal mehr zu mir um. „Ihr Lebenszeichen waren wirklich schwach. Sie können sich jetzt wieder auf eine Magensonde einstellen.“ Ich schaute mich um. Die Luft fühlte sich schwer an. Es war, als würde ich nur an der Oberfläche leben, die sich unter Wasser befindet. Ein paar Minuten später wurde mir ein neuer Schlauch durch die Nase geschoben. Erneut musste ich würgen, dieses Gefühl war alles andere als angenehm. „Diesesmal bitte nicht umknicken“, befahl mir der Arzt mit einem Lächeln, aber trotzdem ernst. „Ihr Körper ist momentan nichtmal in der Lage eine anständige Portion Essen aufzunehmen, weswegen es kein Weg daran vorbei gibt“ Er machte eine kleine Pause. „Wollen Sie darüber reden? Warum Sie sich ihr Leben nehmen wollten“ Konnte man das überhaupt Leben nennen? Ich antwortete nicht. Ich hatte nicht vor jemals mit irgendwem aus diesem Krankenhaus zu sprechen. „Zufällig war ein Polizist in der Nähe, der Ihren Sprung gesehen hat. Er hat Ihnen das Leben gerettet. Nehmen Sie das als Zeichen“ Ich war wütend. Wütend auf diesen fremden Mann. Er hat mir nicht geholfen, er hat alles nur noch schlimmer gemacht. Wütend auf die Ärzte, da sie sich um mich kümmern. Wütend auf mich selber, weil ich es nichtmal schaffte mich umzubringen. Ich wollte allein gelassen werden, so wie es immer war. Alleine.

pov kevin

Ich schaute mit leerem Blick auf mein Handy. Eigentlich wollte ich mir zum Essen Bastis Stream anmachen, doch es war mittlerweile 23:47 Uhr. Ich bezweifelte, dass er noch online kam. Aber warum sollte er seine Streak reißen? Verduzt blicke ich auf sein Twitchprofil, er hatte gestern ebenfalls nicht gestreamt. Was war denn los? Erst da fiel mir auf, dass ich auf meine Nachrichten immernoch keine Antwort bekommen hatte. Sie hatten noch nichtmal zwei Haken. Irgendwas stimmte da doch nicht. Mehrmals versuchte ich ihn anzurufen, doch es ging sofort die Mailbox ran. Sein Handy war ausgeschaltet. Ich fasste den Entschluss nach Berlin zu fahren. Dann würde ich zwar um 4 Uhr nachts oder so ankommen, aber das war mir egal. Basti brauchte vielleicht Hilfe und das war mir wichtiger als alles andere.

Durch die vielen Staus und Baustellen wurde es dann doch 6 Uhr. Ich stand vor seiner Wohnungstür, klopfte, klingelte, schrie seinen Namen. Keine Reaktion. Vielleicht schläft er einfach nur, redete ich mir gut ein. Immer positiv denken. Zum Glück wusste ich, wo sein Ersatzschlüssel lag. Somit konnte ich ungehindert in die Wohnung dringen. Ich schrie erneut seinen Namen, doch wieder kam keine Antwort. Er lag nicht im Bett, war nicht im Badezimmer, saß nicht in seinem Streamingzimmer. Auf dem Wohnzimmertisch fand ich schlussendlich sein Handy.

Es war ausgeschaltet, wie vermutet. Als ich es hochfahren wollte, kam eine leere Akkuanzeige. Wie lange lag das hier bitte schon, damit es komplett leer war? Ich verfiel in Panik. Wo konnte er denn bitte sein? Was, wenn ihm irgendwas widerfahren ist? Er war immerhin ganz alleine. Mit geröteten Augen fuhr ich zur Polizeistation. Eine nette Dame begrüßte mich am Empfang: „Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?“ „Mein Freund, Bastian Schneider, ist nicht in seiner Wohnung. Sein Handy lag auf dem Tisch, ich glaube irgendwas ist passiert. Ich habe ihn seit über zwei Tagen nicht erreichen können“ „Okay, könnten Sie mir seine Adresse sagen“ Ich versuchte mich zu erinnern und die Frau tippte die Informationen in ihren Computer. „Gute und schlechte Neuigkeiten. Die gute, er ist nicht verschollen. Die schlechte, er liegt im Krankenhaus“ Mein Körper zog sich bei diesen Worten zusammen. „In welchem? Was ist denn passiert?“, sprudelte es aus mir raus. Mittlerweile redete ich schneller als ein Wasserfall. „Dazu darf ich Ihnen leider keine Informationen geben, aber er liegt im Franziskus-Krankenhaus. Dort können Sie sich nach Weiterem erkunden“ „Vielen Dank“ Ich rannte zu meinem Auto und fuhr geradewegs zum genannten Krankenhaus.

Meine Müdigkeit ignorierend, sprintete ich die Treppenstufen hoch, bis zur Eingangstür. Mittlerweile war es sieben Uhr, somit kehrte der normale Alltag ein. An der Rezeption wurde ich wieder freundlich begrüßt. „Hallo, was kann ich für Sie tun?“ „Hallo, ich habe gehört hier liegt mein bester Freund, Bastian Schneider. Könnte ich vielleicht zu ihm? Oder zumindest wissen, was passiert ist?“ Die Frau schaute mich verwirrt an. Hatte ich was falsches gesagt? „Ich geh ihn kurz fragen, bitte nehmen Sie im Wartezimmer platz“ Ich gehorchte und plazierte mich auf einen der Holzstühle. Ungeduldig knetete ich mit meinen Fingern. Was, wenn es etwas ernstes war? Was, wenn er in Lebensgefahr war? Warum wurde ich nicht kontaktiert? Dadurch, dass es früh am Morgen war, saß ich alleine im Wartezimmer, wodurch ich jedes kleine Geräusch warnahm. Die Uhr tickte, mit jedem Ticken, dachte ich, geht Lebenszeit von Basti verloren. Auch wenn mir sein aktueller Zustand nicht bewusst war, sagte mir mein Inneres, dass Basti mit jedem dieser Zeigerschläge sterben könnte. Er war immerhin nicht ohne Grund im Krankenhaus. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam die Sekretärin wieder. Sofort sprang ich auf und schaute sie hoffnungvoll an. „Es tut mir leid, er will keinen Besuch empfangen und Ihnen auch keine Auskunft darüber geben, was passiert ist. Ohne seine Einverständnis sind wir gesetzlich zum Schweigen verpflichtet“ Etwas in mir zerbrach. Warum sollte er mich nicht sehen wollen? Wir waren wie Yin und Yang. Nichts und niemand hat sich jemals zwischen uns gestellt. Was ist jetzt passiert? Vertraute er mich etwa nicht mehr? „Könnte ich meine Nummer hinterlassen, falls er sich es anders überlegt?“, fragte ich vorsichtig. Die Frau nickte nur und begleitete mich wieder zur Rezeption. Dann stieg ich mit Tränen in den Augen in mein Auto. Fahren konnte ich so nicht. Ich würde keinesfalls die Straße vor mir erkennen. Also blieb ich erstmal im Auto sitzen, bis ich mich etwas beruhigt hatte. Schlafen konnte ich trotzdem nicht. Ich stand genau vor dem Krankenhaus, in dem Basti war. Wir waren uns so nah und doch so fern.

Es war später am Abend, ich saß immer noch mit leeren Händen und einem leeren Blick in meinem Auto. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. In die Wohnung kann ich jetzt nichtmehr. Meine Gedanken schwirrten noch immer zwischen 'Ich hab etwas falsch gemacht', 'Basti hatte sich selbst etwas angetan' und 'Basti hatte einen Unfall'. Letzteres war nicht ganz falsch. So oder so war es ein Unfall. Aber ich konnte mit niemandem darüber reden.

pov basti

Die Tage darauf zogen sich wie eine Ewigkeit. Meine Gedanken versanken in einer endlosen Dunkelheit und nur hin und wieder wurde mein Geist durch den Lärm des Alarms erweckt. Der Arzt kam ab und zu an, um sich zu überzeugen, dass mit mir alles in Ordnung wäre. Ansonsten war ich alleine. Alleine. In meinem eigenen Körper gefangen, der keine eigenen Gedanken mehr fassen konnte. Ich lag auf dem Betttuch und starrte an die Decke. Die Schmerzen waren noch immer nicht verflogen und meine Augen brannten nach den paar Stunden Schlaf, die ich im Krankenhaus nachts bekommen hatte. Eine Krankenschwester kam herein und fragte ob ich schon gegessen hätte. Ich kochte immer noch vor Ekel, obwohl die Tabletten, die sie mir gegeben hatten, eigentlich eine beruhigende Wirkung hatten. Meine Augen wurden langsam träger, die Gedanken verschwommen. Mein Atem zog sich immer mehr hinaus, mein Körper schien immer schwerer zu werden und es wurde ein immer schwierigeres Unterfangen, meine Augen offenzuhalten. Mein Körper reagierte nicht mehr. Der Arzt stand bereits an meinem Bett und schaute, ob ich noch lebte. „Hallo? Sie sind doch noch wach, oder?“, fragte er mich. Ich wollte „ja“ sagen, doch ich konnte nicht. Ich starrte immernoch an die Decke, als der Arzt sich zu mir hinunterbeugte. „Bitte, geben Sie mir ein Zeichen, dass Sie mich verstehen“, bat er mich. Ich nickte stumm. Ich wurde immer dämpfer und mein Kopf schien in eine Wolke aus Träumen gesogen zu werden. Mein Denken wurde wachsamer, ich konnte die Krankenschwester sehen und auch meinen Körper um mich herum. Was war passiert? Hatte der Arzt was in mir gemacht? War mein Körper wirklich nur am Leben, weil er es wollte? War es das Ende? Mit jedem Gedanken versank mein Bewusstsein tiefer und tiefer bis es plötzlich schwarz wurde.

achlysWhere stories live. Discover now