Keine Russo - Teil 2

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Kapitel 2

Ann

Ich betrat das Gebäude durch den Haupteingang und drehte mich nur einmal kurz zu dem offenen Tor um, dass das Gelände umringte.
Die Russos hatten viele Feinde und dennoch war das Wachpersonal nur spärlich, als hätten sie dennoch nichts zu befürchten.
Als Kind hatte ich oft gedacht ich könnte weglaufen, aber der Gedanke daran, dass man mich eh einfangen und dann sofort umbringen würde, hatte mich abgehalten. Das und das Wissen darum, dass meine Eltern dabei ebenfalls mit ihrem Leben zahlen würden, doch ich hatte den Plan nie wirklich verworfen.
Wenn es so weit war, würde ich lieber schnell und schmerzlos von einem der Wächter in den Rücken geschossen werden, als im Keller zu landen und zerhackt zu werden. Denn genau das würde mit mir passieren, entweder weil mein Vater einen Fehler machte oder weil die Zeit einfach reif war.
Der Tag rückte näher.
Von meinem Zimmer aus sah ich durch das Fenster in den Garten, wo sich nun Drake, Mike und ein paar andere Männer, aber auch leicht bekleidete Frauen tummelten. Alkohol wurde gereicht und ich konnte mich nicht von dem Gedanken abhalten, dass es bezeichnend war, dass Drake, inklusive seiner Anhängerschaft, hier einfach hineinspazierte als wäre es bereits sein Anwesen.
Sein Vater lebte noch und einen lebendigen Mann konnte man schwer beerben. Nicht dass diese Konstellation noch lange so bleiben würde. Janosch Russo war weit in seinen sechzigern, hatte schon zwei Herzinfarkte gehabt und war auch sonst eher Lebensverkürzend unterwegs. Er rauchte wie ein Schornstein und trank schlimmer, als alle seine Söhne zusammen. Es war unwahrscheinlich, dass er noch lange lebte und wenn er starb und Drake die Geschäfte übernahm, war auch meine Zeit vorbei.
Ich wusste es.
Drakes Frustration darüber, dass sein Vater meine Familie am Leben gelassen hatte, obwohl der Verrat meines Vaters seiner leiblichen Mutter das Leben gekostet hatte, waberte wie eine dunkle unheilvolle Aura um ihn herum.
Manchmal schien es, als wäre der vor Kälte klirrende Hass auf mich und meine Familie greifbar. Wenn Mr Russo tot war, wäre ich die Erste, die er beseitigte und kurz danach würde Julien, sein jüngster Bruder -Halbbruder- inklusive dessen Mutter Letitia wohl folgen.
Denn sein Hass auf die einstige Affäre seines Vaters und nun zweite Frau, war nicht weniger groß. Man sah es in seinen Augen, sofern man sich von seiner absolut reglosen Mimik nicht täuschen ließ.
Ich sah von meiner Fensterbank aus zu, wie Drake sich auf eine breites Louchsofa setzte, in seiner langen Finger ein Glas, mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Er trank selten und ihn jetzt so zu sehen war etwas irritierend, genau wie das, was sein Anblick in mir sonst noch auslöste.
Er war nicht so unfassbar attraktiv wie Malik, der das makellose Engelsgleiche aussehen seiner Model-Mutter geerbt hatte, Drake war auf eine andere Art und Weise anziehend. Ich konnte nicht einmal beschreiben, was es war.
Er besaß eine hochgewachsenen, schlanke und vor kraft strotzende Gestalt wie fast jeder in dieser Welt, der dazu gezwungen war ab und an um sein Leben zu kämpfen. Trug dieselben dunklen Hemden und Anzüge wie der Rest seiner Begleiter und besaß dieselbe bis zu den Handknöcheln tätowierten, Haut. Es gab nichts, was ihn wirklich herausstechen ließ und doch tat er es. Immer und überall.
Selbst jetzt, in dieser kleinen Gruppe von Männern und Frauen wusste jeder sofort, dass er das sagen hatte, dass es auf ihn ankam und dass er derjenige war, vor dem man sich fürchten sollte.
Alleine sein Anblick, selbst von dieser Entfernung aus, brachte mein Herz zum Klopfen und meine Hände zum Schwitzen. Ich wünschte es wäre Angst, die ich da spürte, aber das wäre gelogen.
Wenn sein Gesicht in meinen Träumen erschien, wenn die Furcht vor dem nahenden Ende, die er darstellte, überhand gewann, war es nicht nur Furcht, die ich spürte. Nie.
Doch was es war, wollte ich nicht mal beim kamen nennen.
Als würde Drake meinen Blick spüren, hob er seinen Kopf und blickte zu meinem Fenster hinauf und ich erstarrte wie ein Reh im Scheinwerfer licht.
Es waren seine Augen, die mich faszinierten.
Kalt, gnadenlos und dennoch so voller Zorn. Es waren seine Wangenknochen, hoch und scharf und die gerade Nase, aber vor allem war es diese kleine Narbe an seinem Kinn, die in mir den Wunsch weckte, die Hand danach auszustrecken.
Ich hatte ihn noch nie berührt, doch meine Finger glaubten es dennoch und begannen zu prickeln.
Während er weiter meinem Blick festhielt, solange bis sich Neel neben ihn setzte, seinem Blick folgte und mich dann mit so viel Abscheu entgegenstarrte, dass ich es endlich schaffte mich von ihm loszureißen und mich vom Fenster zurückzuziehen. Es waren genau diese Art von Blicken, die dafür sorgten, dass ich mit Neel, Julien oder anderen Mitgliedern der Russo Familie aneinander geriet.
Denn meine offensichtliche Verknalltheit in Drake war kaum noch zu verbergen. Sie ahnten es alle, das wusste ich und ich wusste auch, dass genau das es war, Drakes Familie an meisten von mir hasste, auch wenn ich nicht wusste, was so schlimm daran sein sollte. Doch darum war es nie gegangen. Sie suchten einfach einen Grund. Nun ja, alle außer Drake.
Dass ich etwas für meinen zukünftigen Mörder empfand, war wohl meiner Einsamkeit geschuldet und der simplen Tatsache, dass ich so abgeschottet lebte wie wohl keine andere junge Frau in meinem Alter.
Ich war zweiundzwanzig und hatte keinerlei Erfahrung mit Männer. Ich war nie angefasst oder auch nur geküsst worden. Kein Händchenhalten, kein gar Nichts. Man sollte mich bemitleiden oder mich auslachen, für mein dummes Herz.
Ich für meinen Teil, tat beides.

Keeping Ann - Ich lasse dich nicht gehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt