Kapitel 61 - Ein neues Gefühl

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"Du meinst..."
"Ich habe wohl gemalt... Nur eben war der Wolf vorn gewesen. Es hat mich fürchterlich irritiert die ersten Male. Ich weiß nie ob das, was ich weiß oder glaube zu wissen, wirklich wahr ist. Denn ich weiß nie, ob es vollständig ist. Und meistens dränge ich ihn zurück, damit er keinen Mist macht aber manchmal..."

"Wen aus deiner Familie magst du am liebsten?", Fragte Harry nach einem Moment des Nachdenkens.
"Ich weiß nicht. Das ist meine Familie. Man mag doch seine Familie?"
"Was hast du am liebsten mit ihnen gemacht?", Fragte Harry.
Louis saß da und grübelte. Aber ihm fiel absolut nichts ein.

Ängstlich sah er schließlich von unten zu Harry auf. Er wollte ja antworten. Aber er kannte einfach keine. Er wusste, dass da was war in seinem Kopf neben all dem, was er niemals erzählen wollte. Aber er konnte nicht drauf zugreifen. Ähnlich einem bestimmten Gegenstand in einem vollgekramten und unaufgeräumten Keller. Man wusste, dass es da war, aber es war nicht erreichbar.

"Es ist okay.", Sprach Harry einfach und klang kein bisschen wütend oder so.

"Ich kann.... Zurück, wenn du mit der Schlampe reden willst..", murmelte Louis unbeholfen.
"Weißt du... Eigentlich hätte ich es am Liebsten, wenn es bei euch liefe, wie bei allen anderen auch. Da teilen sich die zwei Seelenhälften nach Körperform. Die menschliche Seite ist für den menschlichen Körper zuständig und alles was ihn betrifft und die wölfische Seite ist eben für den wölfischen Körper zuständig.. ihr trennt offenbar je nach Situation und ich weiß nicht, ob es so sinnvoll ist, die wölfische Seite mehr noch in den menschlichen Körper zu bringen. Weißt du?"
"Äh... Ja... Denke schon...", Murmelte Louis, während in seinem Kopf ein ganzer Film ablief. Harry fand ihn bestimmt zu aufdringlich. Harry mochte ihn nicht und bestimmt war er ihm unangenehm. Harry wollte ihn gar nicht ins Bett kriegen, weil er ihn einfach doof fand. Doof und kompliziert. Immer tiefer drehte sich sein Gedankenkarussell. Er bekam gar nicht mit, wie Harry ihm Pfannkuchen vor die Nase stellte.

"Hey, es ist alles in Ordnung. Wir kriegen das schon hin.. aber ich denke, es ist unfair, dass die andere Seite den ganzen Spaß hat bei euch."
"Ich habe keinen Spaß an... Sexuellen Handlungen... Ich will das nicht. Ich mag Körper nicht. Meinen nicht und den von anderen auch nicht...", Murmelte Louis.
"Ich meinte keinen Sex. Ich meinte generell... Ich möchte, dass wir gleich etwas schönes machen und dass du die ganze Zeit da bleibst.", Erklärte Harry. Wie furchtbar war die Vorstellung, sämtliche schöne Augenblicke jemand anderes überlassen zu müssen? Kein Wunder, dass Louis so drauf war, wie er es eben war und nicht wirklich ein Hobby nennen konnte außer arbeiten. Weil alle schönen Dinge die andere Seite tat. Von Louis' Empfindungen von seinem und anderen Körpern wollte Harry jetzt gerade Mal gar nicht anfangen.

Louis aß, weil Harry es sagte. Er fühlte sich unwohl. Er mochte nicht über sich reden. Das mochte er nie. Man konnte ihm alles erzählen. Nur bitte nicht erwarten, dass er erzählte. Das verschreckte ihn und er zog sich zurück. Also täte es, wenn es ihm erlaubt wäre...

-

Harry stellte fest, dass es etwas gab, was einem unglaublich viel bedeuten und was man gleichzeitig nie besitzen konnte. Es war ein Lächeln. Jedes Lächeln war wohl auf seine Art schön. Aber das Schönste Lächeln, was er jemals gesehen hatte, sah er jetzt gerade in diesem Moment das erste Mal.

Es war schüchtern und wohl auch ein wenig unwillig. Aber es strahlte tief aus diesem Menschen heraus und brachte Harry unwillkürlich zu der Frage, wann Louis' menschliche Seite wohl das letzte Mal gelächelt hatte.

Harry hatte überlegt, was die menschliche Seite wohl gern machen könnte. Schlussendlich saßen sie am See. Louis mit nackten Füßen im Sand. Und auch wenn das vielleicht gar nichts besonderes war, war es genug. Einfach nur mit den Zehen im Sand zu graben, schien Louis mehr Freude zu sein, als alle Versuche, die eben gescheitert waren. Sobald etwas zu spaßig aussah, kam die wölfische Seite vor. Aber nackte Füße im Sand - das ging. Und Louis' Lächeln zeigte Harry, dass er auf dem richtigen Weg war. Dass es sich am Ende lohnen würde, wenn beide Hälften miteinander verbunden wären. So, wie das bei allen Wölfen war und vielleicht würde Louis Körper dann auch nicht mehr so schlimm finden... Vielleicht den des Alphas ja sogar mögen...

-

Harry bemerkte, dass es sehr sehr kleine Dinge waren, die die menschliche Seite zuließ ihn glücklich zu machen. Sand an den Füßen, eine Entenmama mit ihren Küken auf dem See oder ein Eichhörnchen im Baum. Louis genoss ganz offensichtlich Schweigen. Je weniger Harry redete, desto mehr entspannte sich der Omega. Je weniger er überhaupt irgendwas von ihm wollte. Vielleicht, dachte er plötzlich, hatten sie Louis auch einfach falsch verstanden. Vielleicht meinte der genau sowas mit "seine Ruhe haben". Vielleicht hatte er nie gemeint, allein sein zu wollen, sondern einfach nicht die ganze Zeit mit Gesprächen überhäuft zu werden. Wenn jegliche Aufforderung sich im Kopf in einen Befehl verwandelte, waren Gespräche vermutlich generell einfach sehr anstrengend und man umging sie lieber.

Louis erlebte etwas, was er schon lang so nicht mehr erlebt hatte. Er war im Wald. Sogar am See. Und seit langer Zeit musste er nicht gucken, dass er hinter jemandem herkam oder nicht abgehängt wurde. Es hatte ihm nicht einmal jemand gesagt, was er tun sollte. Und doch musste er nicht selbst schonmal im Kopf den Rückweg rekonstruieren, um sich nicht zu verlaufen. Er brauchte keine Angst haben, negativ aufzufallen oder gar angegriffen zu werden. Der Alpha war ja bei ihm und der würde wohl kaum ihm versuchen die Schuld in die Schuhe zu schieben, wenn es um ihren Aufenthaltsort ging. Wie stünde der denn sonst da als Alpha? Nein, Louis konnte all solche Sorgen einfach ausblenden. Und das fühlte sich verdammt gut an. Er bemerkte gar nicht, wie er seine Zehen tiefer in den Sand grub. Es passierte mehr nebenbei. Louis fühlte etwas, was er glaubte, in jede seiner Gedankengeschichten im Kopf eingebaut zu haben. Aber was er selbst so noch nie gefühlt hatte: Fürsorge.

Na, da kommen wir der Sache doch näher, oder? Ja, befürchtet hatte ich, dass hier Schluss sein muss, aber eins habe ich noch geschafft. Also bis 22:30 Uhr.
Viele Grüße ^⁠_⁠^

Alphas OmegaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt