Kapitel 35 - Angst

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Louis hielt sich von den älteren Kindern fern, so lange die Aktion noch lief und sehnte das Ende herbei. Der kleine Beta Nicky blieb in seiner Nähe und betrachtete ihn immer Mal wieder fasziniert. Aber er sprach ihn nicht mehr groß an. Das war Louis aber auch ganz recht. Selbst auf den Kleinen würde er hören. Das war ihm nur zu sehr bewusst.

Zayn sah zwischendurch nochmal bei ihm vorbei, legte ihm einen Verband um den Daumen und gab ihm ein Kühlpad. Louis bedankte sich brav und stammelte sich zurecht, dass er das selbst gewesen sei. Das war nicht ganz einfach. Er wusste, dass er nicht die Wahrheit sagen, aber gleichzeitig auch nicht lügen durfte. Zwei gegensätzlichen Kommandos nachzukommen, war nie einfach. Also stammelte er sich irgendwas zusammen und Zayn konnte sich daraus halt aussuchen, was für ihn passte.

Sobald alle fertig waren mit ihren Vogelhäuschen und sie alles wieder aufgeräumt hatten, eilte Louis förmlich in Harrys Zuhause und verkroch sich in seinem Zimmer. Hatte er nicht irgendwo Salbe oder sowas für seinen Daumen? Es tat immer noch Doll weh. Die ganze Zeit hatte er sich irgendwie zusammen gerissen. Aber.. au...

Er ging ins Bad und hielt seinen lädierten Finger erstmal in kühles Wasser, nachdem er den Verband abgenommen hatte. Dabei wusch er sich auch gleich ganz vorsichtig die Hände. Er hatte eine Blase vom Stifte anspitzen. Aber das war nicht so schlimm.
Sein Daumen sah nicht schön aus. Er machte sich Sorgen um den Fingernagel.

"Louis, bist du schon- was ist passiert?!", Fragte Harry und seine Stimme rutschte ins Knurren.
Huch! Wo kam der denn so plötzlich her? Louis hatte ihn gar nicht kommen gehört.

"Ich .. äh... Also .. Hammer...", Stammelte er erschrocken.
"Wer war das?", Fragte Harry und Louis schmiss sich auf den Boden und überstreckte den Hals.

"Iiich.", Fiepte er, während ihm aufgrund der Lüge speiübel wurde.
"Lüg mich nicht an!", Blaffte Harry.
Louis spürte, wie seine Hose nass wurde. Oh wie fürchterlich peinlich. Tränen rannen über sein Gesicht.

"Ich weiß, dass du das nicht warst. Du bist Rechtshänder. Du hättest den Nagel mit der linken Hand festgehalten. Und wenn der eigene Finger in der Nähe ist, holt man nicht derart aus."
Louis drehte den Kopf zur Seite und schluchzte. Wie hatte der Alpha das so schnell durchschauen können?

"Geh duschen. Ich versammel alle Teilnehmer unten. Niemand! Ich wiederhole: Niemand hat in meinem Rudel das Recht so mit jemandem umzugehen!", Knurrte Harry und verschwand.

Louis kroch in die Dusche, zog sich aus und brauste sich ab. Der Junge, der dafür verantwortlich war, war noch so jung... Was sollte Harry da schon machen? Würde er den zur Sau machen, dann würden nachher alle Louis hassen. Wenn er Harry dann erst langweilig geworden wäre, dann käme er nirgends mehr zwischen. Er wäre ganz allein. Ohne Aussicht darauf, dass sich daran jemals etwas ändern würde.

Sein Innerstes zog sich zusammen. Allein sein... Das war nicht nur angsteinflößend, sondern auch gefährlich. Und... Einsam... Zu viel Ruhe...

Er sollte vernünftig sein. Im Rudel herrschte Unruhe. Nur wegen ihm...

Er lief in sein Zimmer und warf sich Kleidung an. Mehrere Lagen. Er schnappte sich seinen Rucksack und schmiss wahllos Sachen hinein. Er konnte sich nicht darauf konzentrieren, was genau er da eigentlich tat. Sein Hirn war zu sehr damit beschäftigt Angst und ein schlechtes Gewissen zu haben.

Er warf einen Blick zu seiner Fußmatte unter der Kommode. Er zog sie hervor und strich einmal darüber.
Das S war immer noch dran. Aber nun würde sie ja ohnehin niemand mehr brauchen. Kein Tomlinson würde mehr hier sein. Die Fußmatte würde bestimmt bald entsorgt werden. War übrig. Wie Louis selbst. Noch einmal strich er über die Kokosfasern und schob sie dann wieder ganz gerade unter die Kommode.

Er kletterte aus dem Fenster und an der Regenrinne hinab. Dann rannte er in den Wald hinein. Nicht zum Weg, wo man ihn vermuten würde. Er würde Haken schlagen und hoffen, dass sie sein Verschwinden erst bemerken würden, wenn er längst aus dem Revier wäre. Dann wäre es schwerer für sie, ihn zu finden. Im Revier hätte er keine Chance zu verschwinden.
Er würde in die Stadt laufen. Zum Bahnhof. Und dann würde er einfach in einen Zug einsteigen und weg fahren. War doch egal wohin. Ein Zuhause hatte er nicht. Es gab für ihn kein Ziel. Kein Ankommen.

Louis spürte die Angst in sich aufsteigen. Vorm Alleinsein und vor der absoluten Schutz- und Hilflosigkeit. Aber lieber wäre er einsam, weil er weglief, als am Rand einer Gesellschaft zu sein, die ihn einfach nicht wollte. Die ihn ablehnte, aber gleichzeitig durchfüttern und beschützen musste.

-

Harry war sauer wie nie. Omegas konnten sich gegen ranghöhere Wölfe nahezu gar nicht wehren. Es gab Rudel, die das mehr als gern ausnutzten. Schnell wurden die Rangniedrigsten zu Prellböcken der anderen für eigenen Unzulänglichkeiten und Unzufriedenheit.
Omegas wehrten sich nicht. Lange war man der Meinung, dass sie das daher auch nicht schlimm finden würden und eben letztlich damit ihre Rolle im Rudel erfüllten.
Dass sie sich nicht wehrten, weil sie einfach keine andere Möglichkeiten hatten, als zu ertragen - die Erkenntnis hatte lange gebraucht. War bis heute nicht in jeden Kopf vorgedrungen.

Louis war Harrys einziger Omega. Er hatte immer versucht, ihm so viel Selbstständigkeit zuzugestehen, wie der eben wollte. Oder zumindest so viel, wie dessen Familie hatte verlauten lassen. Er hatte es in Kauf genommen, dass Liam oft bei der Bäckerei vorbei sehen musste und ähnliches.
Er war bestimmt kein sanftmütiger, empathischer Mensch und ein Engel war er definitiv auch nicht. Er hatte sich bislang nicht gebunden, vögelte fröhlich durch die Gegend, ließ seine Betas die Drecksarbeit machen, auf die er keinen Bock hatte und versuchte sich ansonsten im Grunde ein schönes Leben zu machen. Dabei gingen einem manche Dinge durch. Wie eben auch der Zustand des Omegas.

Aber er duldete in seinem Rudel nicht, wenn so mit einem Schwächeren umgegangen wurde. Und nun würde er sich die Person, welche auch immer den Zustand von Louis' Finger zu verantworten hatte, Mal ordentlich vorknöpfen. Dabei sah er großzügig darüber hinweg, dass ihn der Umstand, dass Louis verletzt worden war, weit mehr Beschäftigte, als über seine allgemeinen Rudelregeln hinaus...

Oh oh... Na, wenn das Mal gut geht.
Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^

Alphas OmegaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt