Kapitel 2 - Lili

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Ich tuschte mir die Wimpern, da klingelte es an der Tür. Es war 21:00 Uhr.

Ich öffnete einem piekfeinen Pascal die Tür. Er sah aus, als wäre er den Seiten einer eleganten Modezeitschrift entsprungen, als Verkörperung von Casual Chique. Kein Wunder! Er hatte für jeden Anlass das genau richtige Outfit. Der Kleidernarr.

Und ja, er hatte Recht behalten: Er sah gut aus in dunkelblauer Hose und weißem Hemd. Mit seinen hohen Wangenknochen, den vollen Lippen und dem perfekten Styling, zog er jedes Mal die Aufmerksamkeit auf sich, und genoss es.

Ich hatte meine übliche Jeans, T-Shirt und Turnschuhe- Uniform gegen ein elegantes Sommerkleidchen mit einem weit schwingenden Rock, passende Ohrringe und hochhackige Sandalen eingetauscht.

Dieses für mein Budget eigentlich zu teure Ensemble wollte ich an der Hochzeit von Chris' Schwester Moni tragen. Aber zu dem Event ist er vor ein paar Tagen dann ohne mich gegangen. Wahrscheinlich mit Barbara...

Nein! Chris und seine Neue waren kein Thema mehr. Böse Gedanken, gebt endlich Ruhe!

Pascal gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange, als er mich mit den Worten begrüßte:

„Ja, ich glaub, ich träume! Du hast dir deine Haare tatsächlich schneiden lassen."

„Gefällt's dir?"

„Du weißt doch, Blümchen, es gibt nichts an dir, das mir nicht gefällt." Für den Spruch kassierte er einen spielerischen Faustschlag auf den Arm.

Ich hatte nicht den Mut gehabt, die Haare kinnlang schneiden zu lassen. Aber fast zwanzig Zentimeter waren weg, und sie fielen mir nur noch bis in die Mitte des Rückens in glänzenden Wellen. Ich musste herausfinden, was die Friseuse damit gemacht hatte. Meine Haare rochen himmlisch, und sahen aus, wie die des Mädchens aus der Shampoo Werbung. Leider hielt das nicht.

„Du sollst mich nicht Blümchen nennen. Und sei bitte gnadenlos ehrlich. Okay?"

„Lili ist eine Blume, dafür kann ich doch nichts", erwiderte er.

Nach einer kurzen Prüfung meiner Gestalt, meinte Pascal anerkennend: „Rot steht dir. Du siehst elegant aus."

„Besser wär's. In diesen bescheuerten Edelclub kommt man nur in eleganten Sachen", meinte ich keineswegs beruhigt.

Normalerweise machte ich kein Aufheben um mein Aussehen, zumal ich wusste, dass ich auch ungeschminkt im Fitnessstudio Blicke auf mich zog. Aber heute fühlte ich mich, als müsste ich mich für ein erstes Date einkleiden. Furchtbar!

Pascal hatte meine Nervosität bemerkt, und nahm mich fest in seine Arme. Sein neues Training schien sich bezahlt zu machen. Er war muskulöser, als ich ihn in Erinnerung hatte.

„Sei unbesorgt", flüsterte er in meine Haare. „Ich hoffe, dass Chris heute im Topaz ist. Dann kann er einen guten Blick darauf werfen, was ihm entgangen ist. Der verlogene Pisser!"

Er ließ mich los und fuhr fort: „Aber es soll dir nicht einfallen, wieder mit ihm zusammenzukommen. Er hat dich nicht verdient. Und mein Angebot steht noch. Ich habe kein Problem damit, ihm die Fresse zu polieren, denn das hätte er verdient."

Wider Willen musste ich lächeln und meinte:

„Danke, aber das geht doch etwas zu weit. Und nebenbei deine neue Muckibude macht sich echt bezahlt."

„Ja, nicht wahr? Du solltest auch kommen", strahlte Pascal, während er stolz seine definierten Bauchmuskeln präsentierte. Angeber. Kopfschüttelnd füllte ich den Inhalt meiner großen Handtasche in eine kleine um.

„Ich? Echt jetzt? Gehst du nicht ins Boxen?",

„Ja, wieso? Dürfen Frauen nicht boxen?", wobei er boxen ein wenig zu sehr dehnte...

Ich warf ihm einen bösen Blick zu, den er ignorierte.

„Okay, ich werde nächste Woche mitkommen, aber beschwer' dich nicht, wenn ich dich vor deinen Jungs blamiere."

„Mach dir keine Sorgen. Ich werde einfach so tun, als ob ich dich nicht kennen würde."

Ich prüfte im Spiegel, dass mein BH im Ausschnitt des Kleides nicht zu sehen war, und zupfte am hauchdünnen Stoff herum.

„Komm schon, ich will keine Wurzeln schlagen", sagte Pascal. Ich schob ihn resolut aus meiner Wohnung und schloss hinter uns ab.

„Hey, Vorsicht! Du machst mir Knitterfalten ins Hemd", beschwerte er sich.

„Knitterfalten? Okay, raus mit der Sprache, wird Nela heute Abend dort sein? Soll ich als Beweis dafür herhalten, dass du über sie hinweg bist? Oder soll ich diskret verschwinden, wenn etwas mit ihr läuft?"

Ich hatte meine Augen stark verdreht, sodass ich einen Moment lang befürchtete, sie würden so bleiben.

Pascal hatte Nela vor einem Jahr kennengelernt und seither führte sie ihn an der Nase herum - mit einer unüberschaubaren Schar von anderen Verehrern. Ich hasste sie dafür, und machte keinen Hehl daraus. Pascal hatte mir erst gestern gesagt, dass er mit ihr durch sei, und heute lief er ihr wieder nach. Er hatte wenigstens den Anstand, rot zu werden.

Dennoch antwortete er: „Siehst du, deswegen liebe ich dich. Du verstehst mich, und machst trotzdem mit."

„Schleimer", sagte ich, während ich vor ihm die Treppe hinunterging. Wer war ich schon, über ihn zu urteilen? Ich trauerte einem Idioten nach, der keine Minute meiner Zeit verdient hatte.

„Zicke", konterte er und folgte mir.

„Nelas Hündchen."

„Biest."

Ich hörte ein Kichern, das ich nicht zuordnen konnte.

„Hast du das gehört?"

„Was?", fragte Pascal. Im zweiten Stock schaltete ich das Licht an, und sah durch den Spalt des Treppengeländers in alle Richtungen. Nichts. Alles war ruhig, nur Pascals Schritte waren zu hören.

„He kommst du endlich?" Er stand schon unten und sah erwartungsvoll zu mir hoch.

„Ja." Ich folgte ihm. Mein Rücken kribbelte. Ich hatte das ungute Gefühl beobachtet zu werden. 


Liebe ist blindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt