21 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Zögernd drehte ich den Schlüssel im Schloss um. Ich hatte Angst davor was folgen würde. Ich hatte Angst vor meinem Vater.
Das ist schon ziemlich peinlich!
Ah, meine innere Stimme meldete sich netter Weise wieder mal zu Wort. "Ich weiß, dass ich peinlich bin, erzähl mir was neues", grummelte ich und knallte die Tür ins Schloss.
Das war ein Fehler.
Fuck. Das war mir in diesem Moment klar geworden. Wichtig für das Überleben im Hause Duncan waren leise Sohlen und keine Geräusche. Sekunden später kamen schlurfende Schritte aus dem Wohnzimmer in meine Richtung. Hastig stürmte ich in die Küche und setzte mich an den Tisch. So hatte ich immerhin etwas zwischen uns. Und er würde vielleicht beim Anblick des Briefes den Tisch verkloppen und nicht mich

Tapp. Tapp. Tapp. Ein Schrei. Ein Poltern. Tapp. Tapp. Anscheinend war er gegen den kleinen Abstelltisch im Flur gelaufen und hatte den noch viel kleineren Bilderahmen runtergeschmissen. Talentiert war er, das musste man ihm lassen. "Göre? Bist du das", ertönte schon seine leicht nuschelnde Stimme. Anscheinend erinnerte er sich wieder an mich. "Ähm, hi Vater", antwortete ich leise und schaute auf die Tischplatte. Das würde ein sehr unangenehmes Gespräch werden. "Was machst du hier", rief er und kam polternd in die Küche. Schwankend kam er vor dem großen Holztisch zum Stehen und stützte sich schwerfällig auf die Platte. Schwer schnaufend sah er mich an. "Ich hab einen Brief für dich", nuschelte ich in meine Hände rein. "Rede lauter", brüllte er erbost und schlug auf die Tischplatte, welche zu beben anfing. "Tschuldigung." Hastig holte ich den Brief raus, wobei ich unseren Schuldirektor noch mehr zu hassen anfing. Warum musste er unbedingt diese Regel haben, dass jeder, der dabei erwischt wurde, irgendwie in einer Prügelei mitzuwirken, auch wenn man nur die beiden auseinander bringen wollte, einen Elternbrief bekommen musste. Wieso musste er so bescheuert sein?

"Was ist das", herrschte er mich an und riss mir den Zettel aus der Hand. Hastig überflog er den Brief mit seinen geröteten Augen, wobei sein Blick von Minute zu Minute finsterer wurde und als er den Zettel wieder hinlegte, hatte er wieder diese steile Wutfalte auf seiner Stirn. Anscheinend gefiel ihm das Geschriebene nicht. "Stift her", grummelte er und fuchtelte auffordernd mit seiner Hand in der Luft. Hastig reichte ich ihm einen Kugelschreiber. Nachdem er unterschrieben hatte, steckte ich beides wieder ein und schulterte die Tasche um in mein Zimmer zu gehen. Ich wollte schnell weg, falls er es sich anders überlegte. "Göre, bleib stehen", fluchte er dann auch schon. Ertappt hielt ich inne. Langsam drehte ich mich um. "Ja", hauchte ich ängstlich und umklammerte meine Tasche. Zitternd schloss ich kurz die Augen und betete zu allen Göttern dieser Welt, dass es jetzt nicht eskalieren sollte. "Herkommen", befahl er abgehakt und zeigte auf den Boden vor sich. Zitternd stellte ich mich vor ihn hin. Wie ein abtrainierter Hund reagierte ich auf seine Befehle. Sein Atem stank schrecklich nach Alkohol, seine Pupillen waren geweitet und unter seinen Augen waren große Ringe. Von dem einst so hübschen und stolzen Mann war kaum noch was übrig.

Panisch sah ich ihn an. Langsam hob er die Hand und strich mir über die Wange. "Ach Miststück, wie soll das nur mit dir enden", flüsterte er. Seine klebrigen Finger berührten meine Verletzungen erstaunlich sanft. Dann hob er die Hand erneut, nur um mir mit voller Wucht eine Backpfeife zu geben. Panisch zuckte ich zurück. Ein Schmerz durchzuckte mich. Mitten auf die Zwölf hatte er zielsicher auf meine eine Verletzung gezielt. "Das war für den Brief. Und nun geh mir aus den Augen", schrie er mich grob und schubste mich aus der Küche raus. Stolpernd kam ich nach wenigen Schritten zum Stehen. Eine Träne lief mir über die Wange. Anscheinend war es meinem Vater egal, dass ich schon verletzt war. Er gab lieber selber noch einen drauf. Schmerzgepeinigt biss ich mir auf die Lippen. Ich wollte mich nicht beschweren. Wenn ich ehrlich war, hatte ich es deutlich schlimmer erwartet.

Leise schlich ich in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir ab. Dann glitt ich an der Tür runter und vergrub mein Gesicht in meinen Knie, welche ich mit meinen Armen fest hielt. Tränen liefen mir unkontrollierbar über die Wangen. Alles machte ich falsch. Es gab nichts, was ich richtig machen konnte. Egal was ich machte, ich bekam nie ein Lob oder irgendein Kompliment. Leise schluchzte ich vor mich hin. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich wollte nicht mehr. Am liebsten würde ich jetzt gleich von einer Brücke springen und leb wohl sagen. Doch das würde Mut verlangen. Und Mut war genau das was mir fehlte.

Mein Handy piepste und riss mich aus meinen düsteren Gedanken. Zittrig nahm ich es aus meiner Tasche und entsperrte es. Das grüne Zeichen von WhatsApp sprang mir sofort ins Auge. Eine neue Nachricht. Überrascht öffnete ich WhatsApp und sah mir die neue Nachricht an. "Hey!"
Sehr kreativ.
Verwirrt sah ich die ungekannte Nummer an. Wer sollte mich jetzt anschreiben? Dann klickte ich auf das Profilbild. Lucas lachte mir entgegen. Na toll, wieso müssen Jungs immer so komische Selfies von vor zehn Jahren als Profilbilder nehmen? Und vor allem, was wollte er von mir?

I'm not living, I'm just survivingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt