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Bis zum Abend redete er nicht mit mir. Er war in seinem Büro. Tür offen. Das ich ja nicht abhauen kann.
Ich schlich irgendwann aus dem Zimmer und wollte schauen wie er drauf ist. Ich linste ziemlich deprimiert um die Ecke. Er war so vertieft in seine Arbeit das er mich erst nicht bemerkte. Ich räusperte, immer noch nichts. Dann versuchte ich in das Zimmer zu huschen. Wie ein Spinne drückte ich mich an der Wand entlang zu seinem Schreibtisch.
Kurz bevor ich hinter ihm stand, ließ er den Stift fallen und richtete sich etwas auf.

"Wie lange willst du noch durchs Zimmer schleichen?" Hatte er mich doch bemerkt? Warum sagte er dann nichts. Er drehte sich aber auch nicht um.

"Wir ... sollten ..." Ich schluckte schwer. Wollte dann weiter reden, er kam mir aber zuvor.

"Ich hätte es lieber gehabt du hättest nicht unterschrieben. Ich habe dir die Wahl gelassen. Und jetzt würdest mich für den nächsten abschieben. Deswegen bleibt der Vertrag, einfach aus Prinzip. Ich will dir nicht schaden. Ich wollte ihm nur Angst machen, damit er dir nicht zu nah kommt. Aber ich lasse mich nicht verarschen. Ich bin kein Sprungbrett ins bessere Leben oder eine kurze Nummer, oder sonst was! Merk dir das!"

"Aber du hast gewusst wie verzweifelt ich war. DU kamst zu mir, nicht anders rum! Ich habe dich nicht gebeten mir zu helfen, sondern aus verzweiflung ein Angebot angenommen, dass du mir unterbreitet hattest! Wieso hast du es nicht einfach anders versucht? Auf die altmodische Weise, anstatt mich mit einem Vertrag zu Ködern!"

"Genau deswegen! Weil du verzweifelt und misstrauisch warst und vielleicht auch ohne Anthony gar nicht hier wärst, wenn wir nicht den Vertrag hätten. Du hast nur eine Chance gesehen Geld zu bekommen. Dich im Grunde kaufen lassen. Aber das sollte nicht der Grund sein, warum du bleiben willst. Die Woche ziehen wir durch. Müssen wir, da ich schon deine Sachen holte." Was? Das sagt er erst jetzt? Oh Fuck! Was meine Eltern wohl sagten, oder jetzt denken? Was ist wenn ich denen mal begegne? Das wird ungemütlich.
Er drehte sich um, da ich nicht antwortete und ihn nur einen geschockten Blick an den Hinterkopf warf.

"Keine Sorge. Sie werden dich nie wieder anfassen. Vertrau mir, dass ich niemanden schaden werde und auch niemanden geschadet habe. Und du bist sicher ab jetzt." Ich musste das glauben. Was blieb mir für eine Wahl.

Und was ist ... wo soll ich hin, wenn wir ... ich hatte ein Zuhause! Auch wenn nicht gutes. Jetzt habe ich nichts mehr! Und wenn du mich nicht mehr erträgst, dann ..."

"Du wirst nicht auf der Straße landen. Ich werde einem jungen Mädchen wie dir nicht das Leben noch mehr versauen, als es schon wurde." Er stand auf und lief an mir vorbei. Ich senkte den Blick und war ziemlich deprimiert. Wieder kam der Gedanke, dass ich tot besser dran gewesen wäre. Er blieb an der Tür stehen und schnaufte etwas genervt.

"Wenn ... ich helfe dir mit Anthony. WENN es nicht klappen sollte. Ihr scheint auch ziemliche Probleme zu haben. Aber so lange wird er dir nicht mehr zu nah kommen. Und du wirst versuchen ihn für die Woche zu vergessen. Wir haben einen Vertrag, denn du jetzt eine Weile durchziehen wirst. Du darfst auch entscheiden wie du leben willst und ob du arbeiten möchtest. Ich möchte nur, dass du dankbarer bist und mich nicht nur als Chance siehst aus deinem alten Leben entfliehen zu können. Ich hoffe auch, dass du diesmal genau überlegst und entscheidest was DU wirklich willst. Du hast IMMER eine Wahl. Vergiss das nie." Er machte mich baff in dem Moment. Ich war mehr als Sprachlos. Meinte er das alles ernst?

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Ich entschied mich zu arbeiten. Ich konnte nicht alleine bei ihm daheim rumsitzen. Komischerweise war ziemlich zwiegespalten. Skeptisch, dass ich mitbekommen wollte freute ihn, wusste aber das ich das nur tat, weil ich sonst alleine war und niemanden hatte. Aber er schob die Schuld mir nicht mehr zu, dass ich ihn ausnutzen würde. Dafür entschuldigte er sich auch. Er versteht, dass es nicht aus bosheit oder Eigennutz passiert, sondern weil ich einfach einsam war. Und er war nun mal der einzige der mir momentan blieb.

Wir fuhren zusammen was ich erst nicht wollte. Wegen den anderen.
Laufen wäre mir lieber gewesen. Kenne es nicht anders. Ich bin immer gelaufen. Habe dabei viel nachgedacht und habe versucht in der Zeit alles auszublenden und mich seelisch auf die Arbeit vorzubereiten.

"Wir werden zusammen rein und es geht weiter wie sonst auch. Nur das ich mehr in deine Nähe sein werde. Versuche mehr selbstvertrauen aufzubauen. Das ist das Problem warum sie mit dir machen was sie wollen. Weil du dich nicht wehrst. Ich kann nicht mein ganzen Leben Bodyguard spielen. Ich passe gern auf dich auf. Aber will dir trotzdem helfen Selbstbewusster zu werden." Mir kam es vor, als wolle er mich ändern. Er wusste worauf er sich einlässt. Aber wirkt gerade so kalt und Verständnislos. Immer dieses hin und her. Ich dachte er verstünde mich endlich. Mal will er mich schützen und findet mich angeblich am interessantesten, weil ich anders bin, andererseits will er das ich mich ändere und werde wie andere. Und das in einer Art, die nicht gerade einfühlsam war. Er versucht sich wohl noch zu ändern. Ich merke wie er mit sich selbst rangelt. Aber scheint den Mittelweg nicht zu finden. Man kann liebevoll und trotzdem bestimmt sein. Die Woche wird sicher anstrengend. Vorallem ich muss jetzt nicht nur mit ihm, auch noch mit den Mitarbeitern klar kommen. Vielleicht sollte ich doch zu Hause bleiben.

Until Dawn - Bis zum MorgengrauenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt