Kapitel 1

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Krähenjunge. Das war mein Name. Ich wusste, wie ich hieß, noch bevor ich meinen Namen lernte. Die Krähen hatten es mir verraten. Der Name, den mir meine Eltern gegeben haben ist Eren, aber mein richtiger Name ist Krähenjunge. Als ich noch ganz klein war, vielleicht gerade mal zwei Monate alt, sprachen sie schon zu mir. Sie gaben mir meinen Namen und waren immer bei mir. Öfter als meine Eltern. Es war ein bisschen, wie als würde ich in zwei Welten leben. Zwei Welten, die nebeneinander existierten, aber ich lebte in beiden. Meine menschlichen Eltern, so nannte ich sie, waren fast nie da. Schon als ich klein war, arbeiteten sie die ganze Zeit. Aber das störte mich nicht. Ich hatte ja meine „anderen Eltern". Es waren natürlich nicht richtige Eltern, aber sie waren immer für mich da gewesen. Sie brachten mir bei, wie man klettert, wie man sich versteckt, und ich kann mich zwar nicht erinnern, aber ich glaube sie haben mir auch das Laufen beigebracht. Sie spielten mit mir und halfen mir mich zu wehren. Sie konnten zwar nie richtig Verständnis dafür aufbringen, wieso ich in einem Bett schlief und nicht auf einem Baum, aber sie akzeptierten meine menschlichen Bedürfnisse. Mit fünf Jahren war ich der größte Einzelgänger aus ganz Shiganshina, was aber nicht verwunderlich war. Ich spielte ja nur mit den Krähen. In dieser Zeit verstarb auch die älteste Krähe. An dem Tag, als sie es mir erzählten lief ich weinend heim. Meine Mutter hatte mich in den Arm genommen und gefragt, warum ich weinte. Ich hatte ihr gesagt, dass er gestorben sei. Sie fragte wer und ich konnte nicht antworten, weil man ihre Namen nicht wirklich aussprechen kann. Sie dachte ich würde irgendeinen Mist erzählen und brachte mich ins Bett. Ich lernte zu akzeptieren, dass meine Krähenfreunde ein wesentlich kürzeres Leben hatten als ich. Ich lernte auch in den darauf folgenden Wochen, dass es keine gute Idee war mit meinen Eltern darüber zu sprechen. Ich erzählte ihnen manchmal, was mir die Krähen erzählt hatten und meine Eltern taten es als Phantasie eines Fünfjährigen ab. Das machte mich traurig und wütend. Als ich in die Schule kam wollte erstmal niemand mit mir befreundet sein. Ich war der Außenseiter. Der Freak. Und das sagten sie mir auch laut und ließen es mich manchmal auch spüren. Ich wandte mich immer mehr von der menschlichen Welt ab und hing immer mehr mit den Krähen rum. Komischerweise waren sie es, die mich zwangen meine Hausaufgaben zu machen. Normalerweise kümmerten sie sich nicht, um die Sachen, die Menschen machten, aber sie wussten, dass Noten eine große Rolle spielten. Ich war sieben Jahre alt und in der zweiten Klasse, als ich meinen ersten Freund machte. Ich war gerade auf dem Pausenhof und sprach mit meinem Krähenfreund. Ich gab ihm den Menschennamen Chris, als ich von einem Jungen aus meiner Klasse angesprochen wurde. Ich konnte mich nicht an seinen Namen erinnern. Er lächelte mich an und fragte mich, ob ich sein Freund sein wollte. Ich starrte ihn nur irritiert an, worauf er hinzufügte, dass ich einsam aussah. Ich drehte mich wieder zu Chris um, der sagte: „Sei sein Freund, damit du auf ihn aufpassen kannst, wie wir immer auf dich aufgepasst haben." Seit dem Tag liefen wir immer zusammen zur Schule, machten zusammen Hausaufgaben (Es stellte sich heraus, dass er der größte Nerd auf Erden war) und spielten zusammen. Nach einer Woche oder so sagte Chris zu mir, dass ich nach seinem Namen fragen sollte. Ich war verwirrt. Ich kannte ja alle Krähen in der Umgebung und sie kannten mich. Ich war menschlichen Kontakt nicht so gewöhnt und schon gar nicht, nach einem Namen fragen zu müssen. Am nächsten Tag fragte ich ihn und er lachte und sagte, dass ich schon immer hinterm Mond gelebt hätte. Armin war sein Name. Und noch jetzt Jahre später konnte ich mich an diese Tage erinnern. Armin fand irgendwann raus, mit wem ich immer in der Pause sprach. Aber das störte mich nicht. Er lachte mich nicht aus, oder nannte mich einen Freak. Er glaubte mir und blieb weiterhin mein Freund. Zumindest, bis wir weg zogen, wegen dem Job von meinem Dad. Es brach mir das Herz Armin zurück zu lassen, meinen einzigen Freund, aber noch mehr verletzte mich, dass meine Krähenfreunde blieben, wo sie waren. Natürlich waren sie traurig, aber sie konnte nicht einfach weg, von ihrer Heimat. Ich verstand das und fuhr mit meinen menschlichen Eltern in die Fremde. Zu diesem Zeitpunkt war ich siebzehn.

CrowboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt