Für alle, die an ihrem Leben hängen und deren Existenz ihnen etwas bedeutet, spreche ich hiermit folgenden Rat aus:
Legt euch nie, ich wiederhole: niemals mit einer Fee an. Sollte es dennoch nicht vermeidbar sein, ihren Zorn auf euch zu ziehen, so empfehle ich schnellstmögliches Auswandern in Länder, deren Namen euch bisher nicht einmal geläufig waren, oder auch wahlweise den direkten Eintritt in ein Zeugenschutzprogramm.
In folgendem Fall verhält es sich so, dass der Schuldige nicht ermittelt werden konnte. Dies ist umso bedauerlicher, als dass somit nicht nur eine Person den Unmut dieses mächtigen Wesen zu spüren bekam und gleich eine ganze Firma beinahe in Schutt und Asche gelegt wurde. Doch lest selbst....
Lini hatte wieder einmal gute Laune. Summend schlenderte sie durch die Gänge des Fernsehsenders, bei dem sie arbeitete. Für eine Fee besaß sie ein besonders sonniges Gemüt und es passierte nicht oft, dass sie traurig oder gar wütend wurde. Es gehörte schon einiges dazu, um bei ihr diesen Zustand auszulösen und seit sie diesen Job angetreten hatte, war es in der Redaktion noch niemandem gelungen.
Nun fragt ihr euch sicher, was eine Fee bei einem Fernsehsender macht. Nun, dies ist einfach zu erklären: Lini ist eine Wetterfee. Im wörtlichen Sinne. Schon kleine Kinder wissen, dass Feen magisch begabte Wesen sind, die über allerlei Talente verfügen können, je nachdem welcher Art sie zugehörig sind. Dies muss ich also nicht extra erklären.
Das Wetter direkt beherrschen konnte Lini natürlich nicht. Das wäre ziemlich vermessen zu denken, dass eine kleine Fee ein solches Wunder vollbringen könnte. Dennoch lag es in ihrer Macht die Entwicklung des Wetter in leichte Richtung zu beeinflussen. Einen Starkregen etwas abschwächen, einen dicken Wolkenteppich mit etwas Wind einen Schubs in eine andere Himmelrichtung geben, ja, diese Möglichkeiten gab es durchaus. Doch Lini sträubte sich dagegen, ihre Fähigkeiten so einzusetzen. Viel lieber beschäftigte sie sich damit, die kommenden Wetterentwicklungen zu fühlen. Schon die leichteste Veränderung des Luftdrucks gab ihr einen Hinweis, wie sich das Wetter entwickeln würde. Schon als kleine Elfe hatte sie gelernt, dass die meisten um sie herum es sehr zu schätzen wussten, wenn sie diese kommenden Wetterlagen mit ihnen teilte. Freunde trafen sich draußen, statt in ihren Zimmern zu hocken, wenn sie wussten, dass Lini den vorhergesagten Regen nun doch nicht kommen spürte.
Nach der Schule hatte unser Feenmädchen keine Probleme damit über ihre Zukunft zu entscheiden. Für sie war schnell klar: Ich werde eine richtige Wetterfee! Das Studium der Meteorologie schloss sie in nur einem Semester ab, entwickelte nebenbei neue Methoden, um die Wettervorhersagen auch für Wesen ohne Magiebegabung genauer zu machen und erarbeitete sich schnell einen Ruf in der Wetter-Szene.
An diesem Morgen war sie jedoch nicht vor einem Streich des Schicksals und ihrer eigenen Persönlichkeit geschützt. Sie betrat ihr Büro, welches erstaunlich groß und gut ausgestattet war, schmiss ihre Handtasche auf das rote Ledersofa und ließ sich auf dem großen Schreibtischstuhl nieder, der extra für ihren kleinen Körperbau ergonomisch geformt war. Ein Seufzer entfuhr ihr, als sie die Augen schloss und darüber nachdachte, wie sie die kommenden Sendungen des Tages gestalten würde. Dies war ihr täglicher Rhythmus. Das Wetter war ein großer Teil ihres Lebens, bestimmte dieses jedoch nicht in allen Maßen. Aber sobald sie durch die Tür des Gebäudes trat, wanderten alle Sinne und Gedanken fokussiert auf dieses Thema. Und hey, welche Wetterfee konnte schon von sich behaupten jede halbe Stunde live für ein Update der Wetterlage auf Sendung gehen zu können? Ihre freundliche Art mochten die Zuschauer sehr gerne und man konnte einfach spüren, dass sie ihre Begeisterung für das Wetter nicht nur vorspielte.
In ihre Gedanken versunken saß sie da und lauschte dem Ticken der großen Uhr, die wie eine Wolke geformt war. Dann wanderte ihr Blick hinüber zum Symbolkäfig und sie erstarrte. Die Tür stand weit offen. Vorsichtig stand sie auf und bewegte sich auf den Käfig zu, den Blick starr auf die Tür gehaftet. Keines ihrer Wettersymbole war mehr darin zu sehen. Lini atmete tief ein und wieder aus, doch es half nichts. Innerlich kochte eine Wut in ihr hoch, die sie lange Zeit nicht mehr gespürt hatte. Die Symbole waren das Kernstück ihrer Sendung. Wenn sie verschwunden waren, dann bedeutete dies, dass keine Show stattfinden konnte und sie außerdem ihre wertvolle Recherchezeit dafür verschwenden musste, sie zu suchen und wieder einzufangen.

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Die Wetterfee
Short StoryEine Wetterfee arbeitet beim Fernsehen. Als Wetterfee! Doch was passiert, wenn die kleinen Wetterkartensymbole ausbüchsen? Findet es heraus und begleitet Lini auf ihrer Suche durch den Sender.