Mit einem lauten Stöhnen reckte Brunhilda ihre Arme in die Luft, als sie sich nach einem anstrengenden Tag endlich den wohlverdienten Feierabend gönnte. Allmählich bemerkte sie ihre 429 Jahre in den Knochen. Ihr Körper tat nur noch widerwillig seinen Dienst und für Vieles brauchte sie länger, oder versuchte es gar nicht mehr.
Es war wirklich an der Zeit, dass sie endlich eine*n Nachfolger*in ausbildetete, der ihr Werk im besten Sinne weiterführen würde. Was der beste Sinn sei, fragt ihr euch? Nun, das ist schnell erklärt: Brunhilda wollte möglichst viel Geld verdienen. Sie liebte schöne Reisen, eine edle Innenausstattung ihres Waldhäuschens und war auch gewissen Internet-Schuhportalen nicht abgeneigt. Am besten konnte man dieses Ziel erreichen, wenn man den Menschen etwas bot, was sie haben wollten. Meistens war dies langweilige Hilfe bei gesundheitlichen Problem, oder auch hier und dort ein Liebestrank. Nur selten dürfte sie einen Gifttrank zusammen mischen und wenn geschah dies unter großer Geheimhaltung einiger sogenannter "Geheimdienste" diverser Länder.
Brunhilda wusste sich aus vielen Situationen heraus zu helfen, kam sie doch tatsächlich einmal mit dem Gesetz des einen oder anderen Landes in Konflikt. Sie war stolz darauf, ihr Leben so gestalten zu können, wie es ihr passte. Und dazu würde bald auch ein Lehrjunge, nein, heutzutage nannte sich das Auszubildender, ermahnte sie sich selbst in Gedanken, gehören. Die letzten Tage waren erstaunlich anstrengend gewesen. Ganze 13 junge Magier wollten bei ihr lernen und ein Teil ihres restlichen Lebens werden.
Immer wieder ermahnte sie sich, auf ihre alten Tage nicht noch gefühlsduselig zu werden, doch eine gewisse Nachdenklichkeit befiel sie trotzdem. Es war ihr nicht leicht gefallen, sich für einen Bewerber zu entscheiden. Sie wusste selbst nicht, warum sich keine einzige Hexe bei ihr gemeldet hatte, nur Magier, aber das tat sie mit einem Schulterzucken ab. Die jungen Männer von heute hatte ihr die Entscheidung nicht einfach gemacht. Sie alle hatten durchaus den einen oder anderen Vorzug, doch auch ganz entscheidende Gründe geliefert, sie NICHT auszuwählen.
Schon oft hatte Brunhilda Kritik von anderen ausgebildeten Hexen und Magiern zu hören bekommen. Wenn diese Kritik berechtigt war, dachte sie gerne ernsthaft darüber nach, was sie wohl verändern könnte und wenn es überhaupt keinen Sinn machte, das die anderen da schwafelten, so gingen diese Kritikern gerne zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Schließlich hatte sich die alte Hexe für einen jungen Magier entschieden, der fortan ein eigenes Zimmer auf ihrem Dachboden erhalten sollte und von ihr lernen, aber auch ruhig etwas im Haushalt helfen sollte. Schließlich war das WLAN gratis.
Thorben-Malte war 73 Jahre alt und ihre Wahl war auf ihn gefallen, da er bereits die meisten Vorkenntnisse aller Bewerber aufzeigen konnte. Dank des modernen Schulsystems hatten alle eine recht ordentliche Grundbildung und sie musste bei niemandem anfangen die Planeten und Entstehung der Mondzyklen zu erklären. Thorben-Malte jedoch interessierte sich wirklich für die natürlichen Vorgänge und wusste beispielsweise, dass Blutwurz als Pulver bei Durchfall half, oder Hopfen in diversen Formen bei Angstzuständen und innerer Unruhe half.
Genau solch einen Lehrju... Auszubildenden brauchte sie. Gescheit, stark und nicht faul. Letzteres hatte sie vorsichtig getestet, indem sie vor allem Bewerbern erwähnt hatte, dass sie ihre Trinkflasche in der Küche vergessen hatte. Diejenigen, die nicht wenigstens angeboten hatten, diese zu holen, waren gleich aus ihrem Suchprozess gestrichen worden. Das Leben einer Hexe und eines Magiers war viel zu anstrengend, um faul zu sein. So würde man es nie zu einer ordentlichen Menge Geld bringen.
Besonders stolz war Brunhilda auf ihren 70 Zoll 4k Fernseher, den sie mit einer richtig fetten Soround Anlage ausgestattet hatte. Hier im Wald störte sie niemanden, da konnte man sich auch mal ein gutes Konzert oder einen basslasstigen Actionfilm anschauen. Ein Seufzen entfuhr ist. Mist! Das hätte sie noch ins Bewerbungsgespräch mit aufnehmen sollen. Hoffentlich stand Thorben-Malte nicht auf schmalzige Liebesschnulzen...

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Die Hexe und ihr Lehrling
Short StoryIm stolzen Alter von 429 Jahren beschließt die alte Hexe Brunhilda sich einen Lehrli.... Auszubildenden zu nehmen. Natürlich nicht ahnend, wie sehr dieser ihr Leben auf den Kopf stellen wird...