Unsere Lehrerin in Verteidigung gegen die Dunklen Künste war mittlerweile zur Großinquisitorin ernannt worden und führte nun bei allen Lehrern Unterrichtsbesuche durch, wo sie komische Fragen stellte. Die Wahrsagelehrerin hatte es wohl besonders schlimm erwischt. Jedenfalls beschwerte sich Pansy an einem Abend lauthals im Gemeinschaftsraum, was für unverschämte Fragen Professor Trelawney gestellt wurden.

Da ich die meiste Zeit sowieso in der Bibliothek verbrachte, versuchte ich dort Freunde zu finden. Meine Mutter hatte es ja schließlich auch geschafft. Allerdings hatte ich keinen Erfolg. ‚Pah, eine Schlange möchte nett sein? Dass ich nicht lache', hatte ein Ravenclawschüler gesagt und eine Hufflepuff hatte den Kopf gesenkt und irgendwas wegen meinem Familiennamen genuschelt. Dann war sie mit großen Schritten hinter einem Regal verschwunden und hatte sich wieder zu ihren Freunden gesetzt.

Ich blieb alleine an einem Tisch in der hintersten Ecke sitzen und versuchte mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Als sich dann ein älterer Gryffindor mir gegenüber setzte, war ich verwirrt. Sollte wirklich das Haus, von dem ich es am wenigsten erwartet hatte, einen Schüler haben, der mit mir befreundet sein wollte? Wo mir doch die Feindschaft der beiden Häuser bereits in der ersten Woche deutlich vor Augen geführt wurde.

Er hatte orangene Haare und die Krawatte nur locker um den Hals gelegt. „Pastete?" Er hob einen Koffer auf seine Knie und öffnete ihn, bevor ich lesen konnte, was darauf stand. War das jetzt ein Trick oder ein Freundschaftsangebot? Verwirrt musterte ich ihn, während er eine Pastete hervor holte und mir über den Tisch zu schob. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen schloss er den Koffer und ließ ihn auf den Boden neben sich sinken.

Einen Moment saßen wir uns stumm gegenüber, die Pastete zwischen uns auf dem Tisch. „Ich dachte, du möchtest neue Freunde finden? Dann solltest du anfangen anderen zu vertrauen", meinte mein Gegenüber gleichgültig und zuckte mit den Schultern. Er schnappte sich seinen Koffer und stand auf, um zu gehen. Keine Ahnung was in mich gefahren war, aber ich sprang auf. „Warte." Ein zufriedenes Lächeln zeichnete sich auf den Lippen des Gryffindors ab, als ich die Pastete nahm.

Langsam führte ich sie zu meinem Mund und versuchte unauffällig daran zu riechen. Sie roch komisch süßlich. Die Augen des Gryffindors musterten mich genau, als ich ein kleines Stück abbiss. Sofort wurde mir speiübel, doch ich versuchte den Drang zu unterdrücken. Immer fordernder wollte mein Mageninhalt an die frische Luft und so flogen meine Augen über die Umgebung. Ich fand einen Mülleimer und hechtete darauf zu. Gerade als ich bei dem Eimer ankam, konnte ich es nicht mehr halten und übergab mich.

Als ich sicher war, dass sich mein Magen wieder beruhigt hatte, hob ich den Blick. Der Gryffindor stand immer noch neben dem Tisch und musterte mich. Sein Lächeln war einem Grinsen gewichen und ich wusste sofort, dass seine dumme Pastete Schuld war. Wütend wischte ich mir über den Mund und schmiss das restliche Stück Pastete nach ihm. Lachend wich er aus und kam dann mit großen Schritten auf mich zu.

Knapp vor mir blieb er stehen und sah mir tief in die Augen. Mit zusammengebissenen Zähnen hielt ich seinem Blick stand. In seinen braunen Augen stand deutlich die Belustigung, die meine Wut steigerte. Egal was ich in diesem Moment gesagt hätte, er würde es nicht ernst nehmen und sich nur weiter über mich lustig machen.

„Sie funktioniert, Fred", rief er plötzlich und ließ mich kurz zusammenzucken. Aus einer anderen Regalreihe, kam vermutlich sein Zwilling, denn er sah meinem Gegenüber zum verwechseln ähnlich. Lachend betrachteten sie mich und schlugen miteinander ein. Mein Blick glitt zu dem Koffer, auf dem in goldenen Buchstaben ‚Weasley & Weasley' stand und sofort wusste ich, was mir passiert war. Draco hatte mir von den Zwillingen erzählt. Dass sie gerade ihre Scherzartikel austesteten und er ihnen schon mehrfach dafür Punkte abziehen konnte. Ich war nur ein Testobjekt für ihre dummen Scherzartikel gewesen und ich dachte, er wollte mit mir befreundet sein.

Die Bibliothekarin war natürlich auf uns aufmerksam geworden und baute sich bedrohlich neben uns auf. „Raus! Ich habe Ihnen beiden schon oft gesagt, dass Sie diesen Koffer nicht mit in die Bibliothek nehmen dürfen. Noch einmal und Sie dürfen für den Rest des Jahres nicht mehr hier rein", drohte sie und warf die Weasleys hinaus. „Und Sie sollten am besten zum Madam Pomfrey in den Krankenflügel", sagte sie liebevoll an mich gerichtet und leerte den Mülleimer mit einem Schwenk ihres Zauberstabes.

Genervt, weil mich diese Aktion jetzt wieder viel zu viel Zeit kosten würde, packte ich meine Bücher und verließ ebenfalls die Bibliothek. Seit dem war ich misstrauisch, wenn mir jemand etwas zu Essen anbot. Sogar wenn Daphne mir beim Abendbrot auch nur einen Apfel reichte, hatte ich ein komisches Gefühl. Selbst wenn ich danach gefragt hatte und sehen konnte, wie sie ihn von einem Tablett nahm.

Vorsichtig rüttelte jemand an meiner Schulter und ich hob ruckartig meinen Kopf vom Tisch. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie mir die Augen zugefallen waren. „Wegen dir werden uns noch Punkte abgezogen", murrte Pansy und ließ ihren Blick besorgt zu unserem Lehrer wandern. „Sorry", nuschelte ich und setzte mich etwas aufrechter hin. Ich konnte mir ein Gähnen nicht verkneifen und hatte Glück, dass unser Professor gerade anderweitig abgelenkt war.

„Du brauchst mehr Schlaf, Lucinda. So kann es nicht weitergehen", flüsterte Daphne und ein mitfühlendes Lächeln lag auf ihren Lippen. „Ich weiß", erwiderte ich nur und wand meinen Blick nach vorne. Es war Freitagnachmittag und keiner der Schüler schien noch wirklich dem Unterricht zu folgen. Keiner stimmte nicht ganz. Vorne, in der ersten Reihe, saß eine Brünette Gryffindor und hob bei jeder Frage ihren Arm. Es war, als würde Granger mit unserem Professor einen Dialog halten, während die restlichen Schüler sich Gedanken um das Wochenende machte. Es würde wieder die Möglichkeit geben nach Hogsmeade zu gehen. Leider konnte ich dieses Angebot nicht annehmen, auch wenn Lucius mir die nötige Bescheinigung ausgefüllt hatte. Zu viel musste ich nachholen.

Nachdem der Professor uns die Hausaufgaben zur nächsten Woche aufgebrummt hatte, konnten wir endlich gehen. Müde trottete ich hinter den anderen her in Richtung große Halle. „Kommst du morgen eigentlich auch mit, Lucinda?" fragte Draco und drehte sich im Gehen zu mir um. „Ich kann nicht. Muss lernen", gähnte ich und reckte meine Arme in die Luft, um mich zu strecken. „Du bist nur noch am Lernen. Das kann doch gar nicht gehen. Irgendwann explodiert dir noch der Kopf", beschwerte sich der Blonde und zog einen Schmollmund.

„Zum Teil muss ich Draco da recht geben. Dein Gehirn braucht auch mal eine Pause vom vielen Lernen. Es wird zwar nicht explodieren, aber trotzdem. So wie es jetzt gerade ist, hältst du es nicht mehr lange durch", erklärte Daphne und ich spürte ihren besorgten Blick auf mir. „Da hörst du's. Morgen zeigen wir dir Hogsmeade, keine Widerrede", bestimmte Draco und drehte sich zufrieden wieder nach vorne.

Von Pansy bekam ich einen giftigen Blick, weil ihr die Idee wohl nicht zu gefallen schien. Aber ich begriff, dass sie recht hatten und ein Protest wohl keinen Sinn machen würde. Ich merkte ja selber, wie ich täglich an meine Kraftgrenze stieß, aber was sollte ich auch tun. Ich musste die ganzen Inhalte nun mal nachholen, um die ZAG's zu schaffen.

Beim Abendessen stützte ich meinen Kopf mit meinem Arm ab und das ein oder andere Mal fielen meine Augen zu. Erst als ich einen Blick auf mir spürte, setzte ich mich wieder auf. Ich ließ den Blick über die anderen Slytherins wandern, um den Ursprung des Blickes zu finden, doch alle schienen in ihre Gespräche vertieft. Also weitete ich mein Suchfeld auf den Rest der Halle aus und tatsächlich fand ich ein blaues Augenpaar, dass mich durch eine Halbmond Brille musterte. Der Schuldirektor saß auf seinem Platz in der Mitte des Lehrertisches und lächelte mir, jetzt wo ich ihn ansah, zu.

Verwirrt nickte ich und wand den Blick wieder ab. Eine Weile spürte ich den Blick noch, bis er endlich verschwand. Kurz schielte ich zum Lehrertisch und sah, dass der Professor in ein Gespräch verwickelt wurde. Dann stand er auf und verließ mit schnellen Schritten die Halle. Erleichtert atmete ich auf. Er war der Einzige, der mich immer noch mit diesem mitleidigen Blick ansah. Die anderen haben sich anscheinend endlich satt gesehen, doch Professor Dumbledore verließ so selten sein Büro, dass es bei ihm wohl noch dauern würde.

Lucinda - The Mask of a SlytherinWhere stories live. Discover now