Kapitel 19

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MELANY

Ich drehte mich zu der tiefen Stimme hinter mir. »Melany«. Azriel stand direkt vor mir, die Hände locker in den Hosen. Er hatte sich gewaschen und umgezogen, wie es aussah. Sein Gesicht war so makellos wir vorher auch - meine Magie hatte ganze Arbeit geleistet. Seine Flügel lagen sorgfältig gefaltet an seinem Körper, das schwarze Jackett, das er trug war offen und zeigte das genauso schwarze Hemd darunter. Alles an ihm passte zu den Schatten, die Teile seines Körpers in Dunkelheit tauchten. Und obwohl alles an ihm gutaussehend war, lag mein Blick auf seinem Gesicht. Dem Gesicht mit dem schönen Lächeln und den flüssiggoldenen Augen.

»Du bist ja wieder auf den Beinen«, sagte ich lächelnd und machte einen Schritt auf ihn zu. In einem sicheren Abstand, ohne eine versehentliche Berührung zu riskieren. Dabei hatten meine Hände noch bis vorhin sein Gesicht umfasst. Es kribbelte in meinen Fingern - nicht wegen der Magie unter der Haut sondern aus ganz anderen Gründen. Es war, wie als würde ich seine warme Haut noch immer auf meiner spüren. Blinzelnd krallten sich meine Hände in das grüne Tüll meines Kleides. Azriel schien davon nichts zu bemerken, denn er sah noch immer in meine Augen.

»Ja«, sagte er, »nachdem du mich geheilt hattest, gab es keinen Grund mehr, liegenzubleiben.« Ich lächelte schüchtern. »Danke«, sagte er leise und lächelte noch etwas breiter; noch etwas strahlender.

Zur Antwort nickte ich bloß und hoffte, dass die Feenlichter nicht hell genug waren um die Röte auf meinen Wangen offen zur Schau zu stellen. Doch was machte ich mir eigentlich vor? Dieser Illyrianer vor mir wäre der letzte, der sich in irgendeiner Weise über meine Schamesröte lustig machen würde. Azriel war so einiges, aber ganz sicher keine Person, bei der ich mich unwohl fühlte.

Die Fae um uns herum unterhielten sich, manche tanzten sogar eng umschlungen zur sanften Musik. Ich ließ meinen Blick durch den Saal schweifen - von der Fensterwand aus hatte man einen guten Überblick - und sah auch Feyre und Rhysand, die sich in den Armen lagen. Ein wenig weiter standen Nesta und Cassian, die sich unterhielten. Ich fragte mich, ob Nesta ihm schon erzählt hatte, was ich vor einigen Monaten rausgefunden hatte. Sie hatte vorgehabt, es ihm zu erzählen nachdem sie im Stadthaus eingezogen war. Das war schon einige Wochen her. Wenn sie es ihm erzählt hatte, dann hatte sie mir gegenüber zumindest nichts erwähnt.

»Melany«, setzte Azriel an. Ich wandte meinen Blick wieder an ihn und legte den Kopf schräg. Er machte den Mund auf, schloss ihn aber wieder kurz darauf.

»Ja?« Sein Mund öffnete sich wieder, doch er stockte. Erneut. Ich lächelte leicht, versuchte ihn dadurch zum Weiterreden zu motivieren. Doch er schüttelte bloß kaum merklich den Kopf und lächelte dann ebenso.

»Als du mich nach meinen Schatten gefragt hast«, sagte er und ließ mich dadurch verwundert die Augenbrauen hochziehen. »Hatte diese Neugier etwas mit deinen... Fähigkeiten zu tun?«

Ich hob abwehrend die Hände und schaute mich hektisch um. Azriel zog verwundert die Augenbrauen hoch, als ich den Kopf schüttelte und ihm bedeutete, mir zu folgen. Ich hoffte bloß, dass uns niemand gehört hatte. Ohne große Aufmerksamkeit zu erregen gingen wir durch den Saal zu einer Wendeltreppe, die direkt in einen Vorraum führte. Wir traten durch den leeren Raum und gingen auf einen Balkon hinaus, der eine Etage über dem großen Balkon zum Saal lag. Ich schloss die Tür hinter uns sah wieder zu Azriel.

»Wir sollten nicht unter all den Fae darüber reden«, sagte ich mir gedämpfter Stimme. Der Wind war hier oben so laut, dass ich bezweifelte, dass man uns von unten aus hören würde. Dennoch konnte ich nicht diskret genug sein in dieser Angelegenheit. »Ich weiß nicht, wie viel man dir gesagt hat, aber das sind nicht gerade die normalsten Fähigkeiten, die eine gewöhnliche High Fae besitzt.«

Der Ruf des SchattensängersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt