Macht die Augen auf

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Der Junge läuft die Straße entlang, die Hände ganz zerschunden. Die Kaputze über den Kopf gezogen bis tief in die Stirn. Sie schauen in an als wäre er ein Monster, fragen sich was so einer in ihrer Reihenhaussiedlung will. Niemand kümmert sich um ihn, alle halten Abstand. Wollen nichts mit ihm zu tun haben. Mustern seine dunkle Haut und die hellen Lippen als wäre er ein Außerirdischer. Und das jeden Tag um die selbe Uhrzeit.

Tag für Tag immer das selbe. Menschen die ihn auf sich zukommen sehen, wechseln die Straßenseite. Er schaut ihnen nie in die Augen, den Kopf stets gesenkt. Ob er spürt das ihn hier niemand will? Ob es ihn traurig macht? Doch egal was er hört, wie sie ihn behandeln, wie sie ihn mustern, nie antwortet er etwas auf die Lästereien. Manche fragen sich ob er überhaupt versteht was sie sagen vlt. Ist er ja Taub und Stumm.

Jeden Tag das selbe. Immer um 7 Minuten vor 15 Uhr, außer am Mittwoch da kommt er schon 4 Stunden früher.

Nach 2 Monaten, kannten die Menschen ihn schon, sie wussten auf welcher Straßenseite sie um welche Uhrzeit gehen mussten, um ihm aus dem Weg zu gehen. Die Blicke und die Sprüche verebbten nie, doch den großen dunkelhäutigen Jungen störte es nicht.

5 Tage nach dem Ende des dritten Monats, lief ein 7 jähriges Mädchen auf seiner Straßenseite. Sie lief und lief die Menschen störte das nicht. Stück für Stück lief das kleine, weiße, 7 jährige Mädchen den Weg entlang. Sie achtete nicht auf den Weg, sie lachte und hüpfte und die Menschen um sie herum nannten sie süß und lachten über ihr fröhliches rumgehopse. Doch dadurch das sie so am lachen und rumspringen war, sah sie den Riesen mit der Kaputze die Tief in die Stirn gezogen war nicht. Und während sie am hüpfen war prallte sie an dem Riesen ab und landete unsampft auf dem Boden.

Und innerhalb von Sekunden änderte sich die ganze Siedlung. Leute die spazieren gingen blieben stehen und schauten mit weit geöffneten Augen auf den dunkelhäutigen Jungen. Männer hörten auf rasen zu mähen und die Hausfrauen hörten auf sich mit ihren Freundinnen zu Unterhalten. Alles war ungewohnt still und alle Augen waren auf diese Situation gerichtet. Das Gemurmel begann als alle zusahen wie der große Junge sich zu dem kleinen Mädchen runterbückte. Und es wurde wieder still als jeder der Stimme des Jungen lauschte. „Na kleine... hast du dir wehgetan?" Sie schüttelte den Köpf und er reichte ihr die Hand. Sie beobachtete die Hand eine Sekunde und reichte ihm dann ihre. „Danke und ahmm.... Tschuldigung und ... schau." Das Mädchen ging an dem Jungen vorbei und hüpfte weiter. Und alle Menschen die dieses Szenario beobachteten wunderten sich, denn es war das erste mal das sie den Jungen lächeln sahen.

Von diesem Tag an sah man den Jungen nicht mehr alleine den Bürgersteig langgehe, denn er wurde stets von dem kleinen 7 jährigen Mädchen begleitet. Am Anfang schauten die Menschen skeptisch und manche hatten sogar später mit den Eltern des Mädchens geredet, um sie zu überzeugen, dass das Mädchen sich besser von dem Jungen fernhalten sollte. Aber jeden Tag um 7 Minuten vor 15 Uhr ging der Junge in Begleitung des Mädchens die Reihenhaussiedlung entlang.

Das Mädchen stellte ihm immer Fragen und er beantwortete sie jedes mal. „Warum siehst du anders aus?", „ Warum mögen die Menschen dich nicht?", „ Warum sagen sie das du böse bist?" Der Junge beantwortete jede Frage und egal was er sagte das Mädchen antwortete stets, dass ihre Mutter immer sagte, dass niemand weiß, wie ein Mensch ist, wenn man ihm nicht die Chance gebe es zu zeigen. Und das brachte den Jungen jedes mal zum grinsen und ja, es machte ihn fröhlich. Er war innerlich dem kleinen Mädchen dankbar und der Mutter um so mehr.

Eines Tages stellte das Mädchen ihm eine Frage und er wusste nicht ob sie es verstehen würde, wenn er ihr die Frage beantwortet.

„Warum machst du das?"

„Was meinst du?"

„Na wohin gehst du Tag für Tag um immer die selbe Uhrzeit?"

„Ich besuche jemanden."

„Und wen besuchst du?"

„Eine alte Dame."

„Und warum besuchst du eine alte Dame?"

„Weil ich es ihr schuldig bin."

„Was hat sie denn für dich getan, dass du ihr soviel schuldest?"

„Soviel?", fragte er nach.

Und das Mädchen antwortete:„ Zeit ist viel, ich schenke dir meine Zeit weil ich dich mag und du fröhlich bist, wenn ich bei dir bin, also macht Zeit Menschen froh. Fröhlichkeit ist Glück und Glück ist viel."

Und dann erzählte er dem kleinen Mädchen warum er der alten Dame Glück schuldete.

„ Weißt du, vor einigen Monaten wurde mein Bruder in der Öffentlichkeit zusammen geschlagen, alle schauten weg nur die alte Dame, stellte sich vor meinen Bruder. Daraufhin wurde auch sie geschlagen und sie schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Seit dem bekommt sie nicht mehr viel mit und musste in ein Heim wo Menschen gepflegt werden. Doch obwohl die Dame meinem Bruder half, starb er leider an seinen Verletzungen."

„Und warum bist du ihr jetzt etwas schuldig?"

„Versuch zu verstehen, niemand wollte meinem Bruder helfen, sie sahen zu wie man ihn zu Tode prügelte und nur die alte Dame half ihm. Sie musste einen hohen Preis zahlen und da mein Bruder sich nicht bei ihr bedanken kann tu ich das Tag für Tag. Deswegen bin ich ihr Zeit schuldig, weil sie obwohl sie zierlich und schwach war, die einzige war die einem schwarzen Jungen half und weil meine Mutter immer zu uns sagte, dass wir jedem Menschen dankbar sein sollten, der uns zu diesen Zeiten mit Respekt behandelt. Ich bin ihr das schuldig, sie hat mir gezeigt das man nicht den Glauben an das gute in den Menschen verlieren sollte und wenn ich sie nicht jeden Tag besuchen würde, ich glaube dann würde ich den Glauben an mich selbst verlieren. Ich bin dieser Frau dankbar auch wenn der Preis den sie zahlen musste vergebens war, ich bin ihr dankbar dafür das sie da war und nicht einfach zusah wie mein Bruder starb."

Das Mädchen drehte sich einfach um und rannte davon, sie rannt nach Hause und erzählte ihrer Mutter Wort für Wort was der Junge ihr erzählt hatte. Während sie sprach kullerten der Mutter tränen die Wangen hinab und auch das Mädchen weinte.

Am Abend erzählte die Mutter die Geschichte ihrer Freundin und die erzählte es wieder weiter. Noch am nächsten Tag wusste jeder in der Reihenhaussiedlung bescheid und alles war anders.

Am nächsten Tag um 7 Minuten vor 15 Uhr wechselte niemand die Straßenseite, niemand redete über den dunkelhäutigen Jungen. Nein, manche grüßten ihn sogar, nickten ihm zu oder lächelten einfach nur, aber alle zeigten ihm Respekt.

Der Junge war Glücklich und dem kleinen Mädchen dankbar, denn sie hatte dafür gesorgt das die alte Dame nicht umsonst diesen Preis zahlen musste und er sah das Glaube in den Menschen war, der niemals verloren gehen wird.

HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt